Sommer - Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland
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siven Beiseins, auch als Statist, lebendig auszudrücken. Wenn man die Zuschauer zu<br />
einem Erlebnis bringen möchte, muss man um die anspruchsvolle Einheit von<br />
sprachlicher Betonung, Sprechfluss, Pausensetzung, Stellung, Gestik, Mimik usw.<br />
ringen. Wird der Text nüchtern als inhaltliche Information gesprochen, ist der Zuschauer<br />
nicht angesprochen und langweilt sich sogar; dann ist er einem Vortrag näher<br />
als einem Schauspiel. Man möchte als Zuschauer möglichst den Kopf ausschalten<br />
dürfen; man möchte die Zusammenhänge gefühlsmässig erleben. Dieses Ringen<br />
um die erforderte Einheit der Darstellungselemente setzt voraus, dass man subtil<br />
nach innen beobachtet und sich selber wahrnimmt, und zwar völlig unabhängig von<br />
Sympathie und Antipathie. Dies ist ein echter Selbsterziehungsprozess. Wenn man<br />
wirklich mit seelischem Ausdruck die Seelen des Zuschauers anregen will, kann man<br />
sich nicht mehr in sich selbst verschliessen. Die pubertäre Tendenz des Sich-Verschliessens<br />
und coolen Gesichtwahrens muss ganz abgelegt, überwunden werden.<br />
Steckt in der Pubertätszeit die Gefahr, sich in sich selber zu versenken und alles<br />
durch die Brille der eigenen Wünsche zu beurteilen, so kann am dramatischen Gestalten<br />
Distanz von sich selber geschaffen werden. Man will beim Spielen mit sub-<br />
12. Klass-Spiel 2008: Woyzek von Georg Büchner, Regie: Roland Körner<br />
jektiven, selber produzierten Gefühlen Objektives ausdrücken, was die eigene Seele<br />
in einen neuen Zusammenhang bringt. Man beginnt sich wie von Ferne zu betrachten.<br />
Man kann damit lernen, z. B. über sich selbst zu lachen und eigenen Gefühlen<br />
nicht mehr das oft massive Übergewicht zu geben.<br />
Wichtig ist, dass man am Theaterspielen sein ästhetisches Empfinden und Wahrnehmen<br />
geschult hat. Das geschulte ästhetische Empfinden ist in sehr vielen Lebenslagen<br />
eine äusserst wichtige Fähigkeit, deren Wert man nicht genügend schätzen<br />
kann. Dazu ein Beispiel, wie man diese Fähigkeit anwenden kann (was meistens<br />
unbewusst vor sich geht): Stellen wir uns zwei Menschen verschiedener Volksstämme<br />
vor: erstens einen Schwarzen der Bantus in Afrika, muskulös, athletisch, kräftig,<br />
zweitens einen Massai, lang, schlank, sehnig. Welcher der beiden ist der ausdauernde,<br />
beharrliche Langläufer, welcher ist der Kurzstreckensprinter? Zur Lösung dieser<br />
Frage kann intellektuelle Logik absolut nichts beitragen; man kann sich nur in die<br />
Qualitäten der Formen einfühlen und gefühlsmässig einen Zusammenhang finden.<br />
Unsere Urteile sind in erster Linie Gefühlsurteile und erst in der Folge dem Denken<br />
hingegeben. Die Zusammenhänge, die uns »einfallen», stammen meistens aus dem<br />
ästhetischen Empfinden. Je besser dieses gebildet ist, desto fantasievoller und vielseitiger<br />
ist unser Denken. Auch wissenschaftliches Denken kommt nicht ohne Fantasie<br />
zu Resultaten. Wir stärken also mit dem Theaterspielen die Urteilskraft, wir sehen<br />
Zusammenhänge viel leichter!<br />
Theaterspielen ist schliesslich eine äusserst soziale Übung. Rein äusserlich gesehen<br />
ist ein Klassenspiel ein Patchwork, aus vielen einzelnen Teilen zusammengesetzt. Da<br />
werden Szenen zusammengebaut und abgestimmt; evuentuelle Musik muss dazu<br />
passen; Kulissen, Kostüme, Requisiten werden hergestellt oder gesucht usw. Die<br />
Schüler übernehmen Aufträge, haben aber oft Mühe, die Verantwortung ganz zu<br />
übernehmen. Lassen sie Aufträge liegen, was oft vorkommt, kommt die Korrektur<br />
aus der Sache selbst, da die ganze Unternehmung in Frage gestellt sein kann wegen<br />
einer nicht ausgeführten Kleinigkeit. Eine Theateraufführung ist das Resultat von individuellen<br />
Leistungen, die sich dem Gesamten unterordnen und diesem dienen. –<br />
Sozial ist das Theaterspielen aber auch aus einem bereits beschriebenen Grund.<br />
Lernt man sich einfühlen in den Zusammenhang von gesprochenem Inhalt, Mimik,<br />
Gestik usw., so lernt man zwischen den Zeilen lesen im Gespräch mit anderen Menschen,<br />
was oft wichtiger ist als der Inhalt. Wenn die Menschen sich im Gespräch nur<br />
mit dem informativen Teil begnügen, werden sie sich nicht verstehen. Theaterspielen<br />
fördert also auch die Sensibilität gegenüber dem Mitmenschen.<br />
Zusammenfassend darf man sagen, dass man an Fähigkeiten arbeitet, die im späteren<br />
Leben von grosser Wichtigkeit sind, Schlüsselqualifikationen benannt. Diese<br />
Fähigkeiten sind sicher wichtiger als jedes abrufbare Wissen. Hier sollen einige<br />
Schlüsselqualifikationen aufgeführt werden, welche durch das Theaterspiel geför-<br />
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