Thesen - Deutscher Juristentag
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69. <strong>Deutscher</strong> <strong>Juristentag</strong> München 2012<br />
<strong>Thesen</strong> zum Referat von Rechtsanwalt Dr. Reimar Buchner, Berlin<br />
I. Ausgangssituation<br />
1. Wettbewerb im „Krankenversicherungsmarkt“ findet unter den derzeit geltenden gesetzlichen<br />
Rahmenbedingungen zum einen als Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen um<br />
Versicherte statt, die ihre Krankenkasse grundsätzlich frei wählen dürfen. Bisher wird dieser<br />
Wettbewerb unter gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts vom<br />
unternehmerisch-wirtschaftlichen Wettbewerb aufgrund seines ausschließlich dienenden Charakters<br />
als Mittel zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und wegen der gleichzeitigen Verpflichtung<br />
der Krankenkassen auf einen weitgehend einheitlichen Versorgungsauftrag und zur<br />
Zusammenarbeit abgegrenzt. Eine veränderte Zielsetzung des Wettbewerbs unter den gesetzlichen<br />
Krankenkassen ist dem SGB auch nach den letzten Reformgesetzen nicht zu entnehmen.<br />
2. Zum anderen konkurrieren gesetzliche Krankenkassen faktisch um diejenigen Personen,<br />
die sich freiwillig gesetzlich oder privat versichern können. Für diesen Wettbewerb fehlt es<br />
bereits an vergleichbaren Ausgangsbedingungen im Sinne eines einheitlichen Krankenversicherungsmarktes.<br />
Jenseits des Kreises der potentiell freiwillig Versicherten ist ein Wettbewerb<br />
rechtlich durch die Pflichtversicherung oder faktisch durch Sondersysteme wie die Beihilfe für<br />
Beamte ausgeschlossen. Der Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen mit privaten Krankenversicherern<br />
ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung.<br />
II. Verfassungs- und europarechtliche Rahmenbedingungen des Wettbewerbs der gesetzlichen<br />
Krankenkassen<br />
1. Der Gesetzgeber hat bei der Gestaltung des Gesundheitssystems sowohl verfassungs- als<br />
auch europarechtlich Gestaltungsfreiheit. Materiell muss unabhängig von den Systementscheidungen<br />
des Gesetzgebers die Versorgung im Krankheitsfall gewährleistet sein, um den<br />
staatlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip Rechnung zu<br />
tragen. Unter Beachtung dieser Vorgaben ist eine Bandbreite von Lösungen vom staatlichen<br />
Gesundheitsversorgungssystem bis hin zur privaten, wettbewerblich organisierten Krankenversicherung<br />
mit steuerfinanzierten staatlichen Prämienzuschüssen zur Gewährleistung des<br />
Versicherungsschutzes zulässig.<br />
2. Den Staat trifft die Funktionsgewährleistungsverantwortung für das gewählte System.<br />
Auch bei einer wettbewerblichen Organisation schließt diese Funktionsgewährleistungsverantwortung<br />
es aus, dass der Misserfolg im Wettbewerb zur Beeinträchtigung der materiellen<br />
Vorgaben an den sicherzustellenden Gesundheitsschutz führt. Das gewählte System muss<br />
funktionsfähig erhalten werden, solange es nicht unmittelbar durch ein anderes funktionierendes<br />
System ersetzt wird.<br />
3. Abhängig von den Systemwahlentscheidungen sind ergänzende europarechtliche Vorgaben<br />
insbesondere des Vergabe-, Kartell- und Beihilferechts sowie des Verfassungsrechts vom<br />
Gesetzgeber zu beachten, die auch den Spielraum für eine wettbewerbliche Gestaltung einengen<br />
können.<br />
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