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Ein Rezept, das aus der Kälte kommt - Spitalzentrum Biel-Bienne

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IM EINSATZ FÜR MSF<br />

Auch <strong>der</strong> kleine Tropfen zählt<br />

Florence Germiquet, für sechs Monate Oberärztin auf <strong>der</strong> Gynäkologie,<br />

war schon mehrmals für „Medecins sans frontières“ im <strong>Ein</strong>satz,<br />

so in Sierra Leone und in Afghanistan. In einem eindrücklichen Bericht<br />

hat sie ihre Erinnerungen an Afghanistan zusammengefasst.<br />

Selma Müller vom à propos Team hat Florence Germiquet nach den<br />

Beweggründen ihres Engagements gefragt. Dabei hat sie viel Interessantes<br />

zur Organisation von „Médecins sans frontières“ (MSF) erfahren.<br />

Arbeiten in den Krisenregionen dieser<br />

Erde ist nicht je<strong>der</strong>manns Sache.<br />

Was hat dich dazu motiviert?<br />

Bereits als Studentin leistete ich einen<br />

<strong>Ein</strong>satz in Gabun (Westafrika).<br />

Damals schon begeisterte<br />

mich die medizinische und soziale<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Menschen<br />

an<strong>der</strong>er Kulturen. Für mich<br />

war immer klar, <strong>das</strong>s ich nach Abschluss<br />

meiner Ausbildung zur<br />

Gynäkologin wie<strong>der</strong> <strong>Ein</strong>sätze leisten<br />

würde. Im Rahmen meiner<br />

Möglichkeiten möchte ich mich<br />

solidarisch zeigen mit Menschen<br />

in schwierigen Situationen.<br />

Wie hältst du die Konfrontation mit<br />

Hunger, Elend und Krieg <strong>aus</strong>?<br />

Am Anfang ging ich mit sehr hohen<br />

Erwartungen an die Arbeit.<br />

Das führte schnell zu Unzufriedenheit.<br />

Was ich tun konnte, war<br />

ja nur ein Tropfen auf einen heissen<br />

Stein. <strong>Ein</strong> Kollege, <strong>der</strong> schon<br />

viel länger für MSF arbeitet, sagte<br />

mir dann einmal: „Dreh den<br />

Handschuh um. Schau <strong>das</strong> an, was<br />

Du bewirken kannst und was es<br />

für den <strong>Ein</strong>zelnen bedeutet.“ Da<br />

begriff ich, <strong>das</strong>s es nicht darum gehen<br />

kann, die ganze Welt zu retten<br />

o<strong>der</strong> zu verbessern, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>das</strong>s auch <strong>der</strong> kleine Tropfen<br />

zählt.<br />

Wie funktioniert die Verständigung?<br />

Gerade in Afghanistan versteht sicher<br />

kaum jemand Englisch o<strong>der</strong><br />

Französisch?<br />

In diesen Län<strong>der</strong>n kommuniziert<br />

man halt mit <strong>der</strong> Hilfe einer Übersetzerin.<br />

Mehr Schwierigkeiten bereiteten<br />

mir die Nuancen des Umgangstones<br />

im Team, beispielsweise<br />

mit Männern insbeson<strong>der</strong>e in<br />

islamischen Län<strong>der</strong>n. Da kann es<br />

schnell Missverständnisse geben.<br />

Allerdings lernt man die Spielregeln<br />

sehr schnell, man ist ja mitten<br />

drin.<br />

Wie lange dauern die <strong>Ein</strong>sätze für<br />

„Médecins sans frontières“?<br />

Normalerweise 6 – 12 Monate. Es<br />

gibt jedoch auch kürzere <strong>Ein</strong>sätze<br />

von drei Monaten. Die Freizeit ist<br />

geregelt. <strong>Ein</strong> Tag pro Woche ist<br />

frei, meistens <strong>der</strong> Sonntag. Nach<br />

drei Monaten muss eine Ruhewoche<br />

eingezogen werden.<br />

Kann man dabei <strong>das</strong> jeweilige Land<br />

auch ein wenig besichtigen?<br />

In Kriegsgebieten ist es zu gefährlich.<br />

Die Umgebung ist vielleicht<br />

vermint o<strong>der</strong> die Lage noch nicht<br />

sicher genug. An an<strong>der</strong>en Orten<br />

ist es durch<strong>aus</strong> möglich, auch etwas<br />

vom Land zu sehen.<br />

<strong>Ein</strong> Minimum an Geld zum Leben<br />

braucht je<strong>der</strong>. Wie ist die finanzielle<br />

Seite geregelt?<br />

Die Arbeit ist grundsätzlich freiwillig.<br />

Die Mitarbeiter sind<br />

während den <strong>Ein</strong>sätzen versichert.<br />

Zudem gibt es ein Gehalt, in meinem<br />

Fall waren <strong>das</strong> ca. 1500 Franken,<br />

damit man nach <strong>der</strong> Rückkehr<br />

nicht ganz blank <strong>das</strong>teht.<br />

Kannst du uns ganz allgemein etwas<br />

zur Organisation MSF sagen?<br />

MSF hat sich die Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Opfer in Kriegs- o<strong>der</strong> Krisengebieten<br />

als Ziel gegeben. Miteingeschlossen<br />

sind die Opfer von Naturkatastrophen,<br />

Hungersnöten,<br />

Seuchen, Menschen auf <strong>der</strong><br />

Flucht. Die Nachhaltigkeit hat einen<br />

hohen Stellenwert bei je<strong>der</strong><br />

Art von Hilfe, die MSF leistet.<br />

MSF hat fünf operationelle Zen-<br />

18 à propos 6/2002<br />

tren, von wo <strong>aus</strong> <strong>Ein</strong>sätze organisiert<br />

werden: in Frankreich, Belgien,<br />

Spanien, Holland und <strong>der</strong><br />

Schweiz. Unabdingbar für eine<br />

Organisation wie MSF sind Neutralität<br />

und Unabhängigkeit, die<br />

erst <strong>Ein</strong>sätze in Kriegsgebieten<br />

und den ungehin<strong>der</strong>ten Zugang<br />

zur Bevölkerung erlauben. Die Dezentralisierung<br />

ermöglicht ein<br />

sehr schnelles Handeln, bei Naturkatastrophen<br />

kann die Hilfe<br />

schon nach wenigen Tagen anlaufen.<br />

Wie wird diese Hilfe finanziert?<br />

MSF ist auf Spenden angewiesen.<br />

Aus Gründen <strong>der</strong> Neutralität wird<br />

so wenig wie möglich mit staatlichem<br />

Geld gerechnet. Höchstens<br />

15% des Budgets fällt für die Administration<br />

ab, mindestens 85 %<br />

fliessen in die direkte Hilfe vor<br />

Ort. Neben den Ärzten, Pflegefachpersonen<br />

und Hebammen<br />

sind bei MSF auch LaborantInnen,<br />

Logistiker, Techniker und MitarbeiterInnen<br />

für den administrativen<br />

Bereich willkommen.<br />

Florence Germiquet ist bereit<br />

ihren Beruf als Ärztin auch unter<br />

schwierigsten Umständen<br />

<strong>aus</strong>zuüben.<br />

Wie erlebst du nach einem solchen<br />

Aufenthalt die Rückkehr in die sichere<br />

Schweiz, mit all unserem Wohlstand<br />

und <strong>der</strong> medizinischen Spitzenversorgung?<br />

Ich habe damit eigentlich kein<br />

Problem. In <strong>der</strong> Schweiz bin ich zu<br />

H<strong>aus</strong>e, <strong>das</strong> ist meine Kultur; ich lebe<br />

mich jeweils schnell wie<strong>der</strong><br />

ein. Hier frische ich mein Wissen<br />

auf und sehe auch Freunde und<br />

Bekannte wie<strong>der</strong>.<br />

Hast Du schon Pläne für die Zukunft?<br />

Ja, im Dezember geht meine Anstellung<br />

im <strong>Spitalzentrum</strong> zu Ende.<br />

Dann werde ich für eine Weile<br />

nach Argentinien gehen, wo mein<br />

Lebenspartner lebt. Ich werde sicher<br />

wie<strong>der</strong> mit MSF arbeiten,<br />

weiss aber noch nicht wo und<br />

wann.<br />

Herzlichen Dank für <strong>das</strong> Gespräch<br />

und für deine Zukunft alles Gute!<br />

Interview: Selma Müller<br />

Florence Germiquet, en tant<br />

que médecin pour MSF, est prête<br />

à exercer son métier dans<br />

des conditions très difficiles.

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