Ein Rezept, das aus der Kälte kommt - Spitalzentrum Biel-Bienne
Ein Rezept, das aus der Kälte kommt - Spitalzentrum Biel-Bienne
Ein Rezept, das aus der Kälte kommt - Spitalzentrum Biel-Bienne
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
BEGEGNUNGEN<br />
„Sie sind wie ein Engel für mich!“<br />
Sie haben in diesen Tagen wie<strong>der</strong><br />
Hochkonjunktur, überall begegnen<br />
sie uns in den festlich geschmückten<br />
Schaufenstern, auf<br />
dem Geschenkpapier o<strong>der</strong> als<br />
Schmuck am Christbaum. Die Rede<br />
ist von den Engeln. Nicht wenige<br />
von ihnen erscheinen uns als<br />
wohl genährte kleine Kin<strong>der</strong>. Die<br />
einen blicken einen verschämt an,<br />
an<strong>der</strong>e haben ein liebliches<br />
Lächeln auf ihren Lippen.<br />
Während die einen mit voller Begeisterung<br />
musizieren, lassen die<br />
an<strong>der</strong>n ihre Stimme erklingen.<br />
Mit Flügeln und Heiligenschein<br />
heben sie sich sichtbar von uns<br />
Menschen ab, denn auf den ersten<br />
Blick gleicht ein Engel einem<br />
Menschen.<br />
Engel spielen in den Weihnachtsevangelien<br />
eine wichtige Rolle.<br />
Da verkünden die himmlischen<br />
Boten den ahnungslosen Hirten<br />
auf dem Feld, Jesus sei geboren<br />
worden und liege in einer Futterkrippe.<br />
Die Engel als Boten <strong>der</strong><br />
Freude. O<strong>der</strong> die Sterndeuter erfahren<br />
im Traum, sie sollen nicht<br />
zu König Herodes zurück, und in<br />
<strong>der</strong> Folge schlagen sie einen an<strong>der</strong>n<br />
Weg ein nach H<strong>aus</strong>e. Josef<br />
erfährt immer wie<strong>der</strong> durch einen<br />
Traum, was er mit Maria und dem<br />
kleinen Jesus tun soll. In diesen<br />
Geschichten deutet <strong>der</strong> Engel die<br />
Wirklichkeit und warnt vor Gefahren.<br />
<strong>Ein</strong>e Freude mitteilen, die<br />
Wirklichkeit deuten o<strong>der</strong> jemanden<br />
vor etwas Schlimmem bewahren,<br />
dies sind nur einige von vielen<br />
Arten, wie Engel in unsere<br />
Welt eingreifen.<br />
Auch im Spital begegnen uns<br />
manchmal Engel; sie haben aber<br />
ganz eindeutig die Gestalt eines<br />
Menschen. Zwei meiner Begegnungen<br />
können dies besser illustrieren<br />
als alle Erklärungen. <strong>Ein</strong>er<br />
Frau musste ein schnell wachsen<strong>der</strong><br />
Tumor <strong>aus</strong> dem Bauch entfernt<br />
werden. Nach dem schwierigen<br />
<strong>Ein</strong>griff war sie nicht nur kör-<br />
perlich son<strong>der</strong>n auch seelisch erleichtert.<br />
Doch eine Sorge blieb:<br />
Wie geht es weiter? Folgen belastende<br />
Therapien, wenn ja welche?<br />
O<strong>der</strong> ist jetzt alles gut? Für<br />
die Frau wurden die Ärzte zu Engeln<br />
<strong>der</strong> Freude. Sie konnten ihr<br />
eine gute Nachricht übermitteln.<br />
Nicht immer verläuft eine Behandlung<br />
so erfolgversprechend.<br />
Manchmal ist eine Diagnose erstens<br />
unerwartet und zweitens<br />
schlimm für den betreffenden Patienten.<br />
<strong>Ein</strong> weiterer Besuch galt<br />
einem Patienten, bei dem anlässlich<br />
einer Untersuchung ein Tumor<br />
entdeckt wurde, er musste<br />
unerwartet im Spital bleiben. Ich<br />
spürte, wie froh er war, mir seine<br />
Enttäuschung, seine Wut und Verzweiflung<br />
über seine momentane<br />
24 à propos 6/2002<br />
Situation anzuvertrauen. Es tat<br />
ihm gut, <strong>das</strong>s einer ihm zuhörte<br />
und Zeit für ihn hatte. Ich konnte<br />
nicht viel sagen, denn ich schätzte<br />
seine Situation als schwierig ein.<br />
Zu verharmlosen gab es nichts<br />
und er nahm den Ernst seiner Lage<br />
sehr wohl wahr. Ich versuchte<br />
ihm meine Aufmerksamkeit zu<br />
schenken, <strong>das</strong> war was er im Moment<br />
brauchte. Als ich mich von<br />
ihm verabschiedete, war er erleichtert<br />
und dankte mir für den<br />
Besuch. „Sie sind wie ein Engel für<br />
mich“, meinte er.<br />
<strong>Ein</strong>an<strong>der</strong> Aufmerksamkeit schenken,<br />
einem an<strong>der</strong>n Menschen etwas<br />
mitteilen, <strong>das</strong> mit schönen<br />
o<strong>der</strong> schwierigen Emotionen verbunden<br />
ist, und zwar so, <strong>das</strong>s er es<br />
annehmen kann; Schweres wie<br />
Fröhliches einan<strong>der</strong> anvertrauen.<br />
Ich bin immer mehr überzeugt,<br />
<strong>das</strong>s uns in solchen Momenten<br />
ein Engel begleitet. Unsichtbar,<br />
fast kaum wahrnehmbar aber<br />
eben doch anwesend ist dieser<br />
göttliche Bote sowohl im Alltag<br />
wie in den entscheidenden Situationen<br />
des Lebens. Neben dem<br />
was messbar ist, schwingt noch eine<br />
an<strong>der</strong>e Dimension mit.<br />
Raimund Obrist, Spitalpfarrer<br />
Für diesen Artikel liess ich mich<br />
inspirieren von Anselm Grün „Je<strong>der</strong><br />
Mensch hat einen Engel“, Her<strong>der</strong>,<br />
Freiburg 2000.