Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Foto : Ruth Hofmann<br />
VON NATHALIE DUBOIS<br />
Das Enthornen erfolgt in der<br />
Regel bereits beim Kalb,<br />
empfohlen wird der Eingriff<br />
in der 2. oder 3. Lebenswoche, denn<br />
dann sind die Hornknospen noch<br />
nicht allzu stark ausgebildet. Jährlich<br />
sind es rund 200 000 Kälber die<br />
enthornt werden. Man brennt den<br />
Kälbchen, unter lokaler Betäubung,<br />
die Hornansätze mit einer Art Lötkolben<br />
aus ; es können keine Hörner<br />
mehr wachsen. Augenzeugen dieses<br />
Eingriffs berichten von unterschiedlichen<br />
Szenarien. Die Beschreibungen<br />
reichen von « unter korrekter<br />
Anästhesie wenig schmerzvollen<br />
<strong>Pro</strong>zedere » bis hin zu « unerträglichen<br />
Qualen für die <strong>Tier</strong>e mit anschliessend<br />
tagelangem Kopfschlagen<br />
der Kälber oder aber völliger<br />
Apathie und Futterverweigerung. »<br />
Das <strong>Pro</strong>blem des Eingriffs liegt,<br />
nebst der absolut korrekten Durchführung<br />
durch den ausgebildeten<br />
Bauern oder einen <strong>Tier</strong>arzt, vor allem<br />
bei der Nachbehandlung. Oft<br />
genug kommt es vor, nicht zuletzt<br />
aus Kostengründen, dass die notwendigen<br />
Schmerzmittel viel zu<br />
früh abgesetzt oder gar nicht erst<br />
verabreicht werden. Das Enthornen<br />
ist in jedem Fall ein Eingriff, der für<br />
die Kälber Stress und Schmerzen<br />
bedeutet. Doch niemand weiss genau,<br />
wie gross die Schmerzen für<br />
die <strong>Tier</strong>e bei diesem Eingriff tatsächlich<br />
sind und wie lange es dauert bis<br />
sie abklingen. Die Hornansätze sind<br />
hochsensible Stellen aus denen sich<br />
die sogenannten Hornzapfen entwickeln,<br />
jener stark durchblutete und<br />
von dichten Nervenbahnen durchzogene,<br />
lebende Teil des Hornes, der<br />
für das Wachstum des eigentlichen,<br />
äusseren sichtbaren Hornes verantwortlich<br />
ist. Das Horn als zentrales<br />
Organ der Kuh wächst ein Leben<br />
lang weiter. Meist ist die älteste<br />
Kuh mit den grössten Hörnern das<br />
ranghöchste <strong>Tier</strong> in der Herde.<br />
Bei ausgewachsenen Kühen ist<br />
das Enthornen, nach einhelliger<br />
Meinung von Experten, in jedem<br />
Fall eine « wahre Schlachterei » und<br />
aus <strong>Tier</strong>schutzgründen absolut inakzeptabel.<br />
Den Kühen werden die<br />
vollständig ausgebildeten Hörner<br />
<strong>Pro</strong><strong>Tier</strong> 3/10<br />
abgesägt, was einer Amputation<br />
gleichkommt und für die <strong>Tier</strong>e eine<br />
massive Belastung darstellt. Es<br />
kann, nebst unvermeidbaren grossen<br />
Schmerzen, zu Komplikationen<br />
in der Wundheilung kommen, wie<br />
zum Beispiel schwere Infektionen<br />
der, durch das Absägen der Hörner,<br />
eröffneten Stirnhöhlen. Die<br />
<strong>Tier</strong>e zeigen wochenlang Symptome<br />
von hoher Schmerzbelastung.<br />
Es ist anzunehmen, dass die <strong>Tier</strong>e<br />
zudem noch lange, wenn nicht sogar<br />
für den Rest ihres Lebens, unter<br />
Phantomschmerzen leiden.<br />
Hörner sind ein<br />
wichtiges Kommunikationsmittel<br />
Kühe haben von Natur aus Hörner<br />
und das hat auch durchaus seinen<br />
Sinn. Die Hörner erfüllen im sozialen<br />
Umgang des Herdentieres Kuh einen<br />
wichtigen Zweck, ja sie sind das<br />
eigentliche Hauptinstrument für die<br />
fein abgestimmte Kommunikation.<br />
« Es sind kleinste Kopfbewegungen<br />
mit denen Kühe einander mitteilen<br />
ob die Gegenwart der anderen erwünscht,<br />
toleriert oder absolut nicht<br />
geduldet ist » erklärt Martin Ott. Er ist<br />
Mitpächter des Guts Rheinau, einer<br />
der grösseren Landwirtschaftsbetriebe<br />
der Schweiz (www.fintan.ch)<br />
und Stiftungsratspräsident des Forschungsinstituts<br />
für biologischen<br />
Landbau (FiBL) in Frick. Martin Ott<br />
ist ein Verfechter von behornten<br />
Kühen und so sind auf dem Gut<br />
Die Hörner bei Kühen sind<br />
so individuell wie ihre<br />
Persönlichkeiten.<br />
Foto : Nathalie Dubois<br />
Foto : Thomas Haug<br />
Dieses Kalb auf dem<br />
Gut Rheinau darf seine<br />
Hörner behalten.<br />
Rheinau auch keine hornlosen <strong>Tier</strong>e<br />
mehr anzutreffen.<br />
Behornte <strong>Tier</strong>e strahlen durch<br />
ihr arteigenes, natürliches Erscheinungsbild<br />
Autorität aus und haben<br />
deshalb auch mehr Respekt voreinander,<br />
die Rangfolge ist daher viel<br />
klarer als bei Kühen ohne Hörner.<br />
Sie muss zwar in jeder Herde hin<br />
und wieder neu festgelegt oder<br />
bestätigt werden aber in viel geringerem<br />
Mass als bei <strong>Tier</strong>en ohne<br />
Hörner. Deshalb sind Herden mit<br />
behornten Kühen in ihrem Sozialverhalten<br />
viel stabiler als hornlose<br />
Gruppen. Vielfach sind enthornte<br />
<strong>Tier</strong>e nervöser, weil sie in ihrer Stellung<br />
innerhalb der Herde unsicher<br />
sind. Es kann aber auch sein, dass<br />
sie abstumpfen, weil sie durch das<br />
Enthornen sozusagen « sprachlos »<br />
gemacht werden.<br />
Hörner sind auch keine eigentlichen<br />
Waffen, im Gegenteil, für<br />
bestimmte Angriffe oder zur Verteidigung<br />
sind sie aufgrund ihrer<br />
Form und der seitlichen Position<br />
am Kopf der Kuh eher ungeeignet.<br />
Bei Rangkämpfen sind sie vielmehr<br />
wichtige Halteinstrumente um ein<br />
Abrutschen der Köpfe (Verletzungsgefahr)<br />
beim Stemmen zu verhindern.<br />
Solche Rangkämpfe sind denn<br />
auch nur reines Kräftemessen und<br />
verlaufen in der Regel unblutig und<br />
ohne ernsthafte Verletzungen.<br />
Die bio-dynamische Landwirtschaft<br />
sieht im Horn der Kuh einen<br />
zentralen Bestandteil des komplexen<br />
Verdauungssystems der Wiederkäuer.<br />
Hörner sollen sogar einen<br />
direkten Einfluss auf die Milchqualität<br />
haben. Enthornte Kühe sind hier<br />
deshalb undenkbar, weil damit ein<br />
15