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Heft 3/2010 - Pro Tier

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Foto : Ruth Hofmann<br />

VON NATHALIE DUBOIS<br />

Das Enthornen erfolgt in der<br />

Regel bereits beim Kalb,<br />

empfohlen wird der Eingriff<br />

in der 2. oder 3. Lebenswoche, denn<br />

dann sind die Hornknospen noch<br />

nicht allzu stark ausgebildet. Jährlich<br />

sind es rund 200 000 Kälber die<br />

enthornt werden. Man brennt den<br />

Kälbchen, unter lokaler Betäubung,<br />

die Hornansätze mit einer Art Lötkolben<br />

aus ; es können keine Hörner<br />

mehr wachsen. Augenzeugen dieses<br />

Eingriffs berichten von unterschiedlichen<br />

Szenarien. Die Beschreibungen<br />

reichen von « unter korrekter<br />

Anästhesie wenig schmerzvollen<br />

<strong>Pro</strong>zedere » bis hin zu « unerträglichen<br />

Qualen für die <strong>Tier</strong>e mit anschliessend<br />

tagelangem Kopfschlagen<br />

der Kälber oder aber völliger<br />

Apathie und Futterverweigerung. »<br />

Das <strong>Pro</strong>blem des Eingriffs liegt,<br />

nebst der absolut korrekten Durchführung<br />

durch den ausgebildeten<br />

Bauern oder einen <strong>Tier</strong>arzt, vor allem<br />

bei der Nachbehandlung. Oft<br />

genug kommt es vor, nicht zuletzt<br />

aus Kostengründen, dass die notwendigen<br />

Schmerzmittel viel zu<br />

früh abgesetzt oder gar nicht erst<br />

verabreicht werden. Das Enthornen<br />

ist in jedem Fall ein Eingriff, der für<br />

die Kälber Stress und Schmerzen<br />

bedeutet. Doch niemand weiss genau,<br />

wie gross die Schmerzen für<br />

die <strong>Tier</strong>e bei diesem Eingriff tatsächlich<br />

sind und wie lange es dauert bis<br />

sie abklingen. Die Hornansätze sind<br />

hochsensible Stellen aus denen sich<br />

die sogenannten Hornzapfen entwickeln,<br />

jener stark durchblutete und<br />

von dichten Nervenbahnen durchzogene,<br />

lebende Teil des Hornes, der<br />

für das Wachstum des eigentlichen,<br />

äusseren sichtbaren Hornes verantwortlich<br />

ist. Das Horn als zentrales<br />

Organ der Kuh wächst ein Leben<br />

lang weiter. Meist ist die älteste<br />

Kuh mit den grössten Hörnern das<br />

ranghöchste <strong>Tier</strong> in der Herde.<br />

Bei ausgewachsenen Kühen ist<br />

das Enthornen, nach einhelliger<br />

Meinung von Experten, in jedem<br />

Fall eine « wahre Schlachterei » und<br />

aus <strong>Tier</strong>schutzgründen absolut inakzeptabel.<br />

Den Kühen werden die<br />

vollständig ausgebildeten Hörner<br />

<strong>Pro</strong><strong>Tier</strong> 3/10<br />

abgesägt, was einer Amputation<br />

gleichkommt und für die <strong>Tier</strong>e eine<br />

massive Belastung darstellt. Es<br />

kann, nebst unvermeidbaren grossen<br />

Schmerzen, zu Komplikationen<br />

in der Wundheilung kommen, wie<br />

zum Beispiel schwere Infektionen<br />

der, durch das Absägen der Hörner,<br />

eröffneten Stirnhöhlen. Die<br />

<strong>Tier</strong>e zeigen wochenlang Symptome<br />

von hoher Schmerzbelastung.<br />

Es ist anzunehmen, dass die <strong>Tier</strong>e<br />

zudem noch lange, wenn nicht sogar<br />

für den Rest ihres Lebens, unter<br />

Phantomschmerzen leiden.<br />

Hörner sind ein<br />

wichtiges Kommunikationsmittel<br />

Kühe haben von Natur aus Hörner<br />

und das hat auch durchaus seinen<br />

Sinn. Die Hörner erfüllen im sozialen<br />

Umgang des Herdentieres Kuh einen<br />

wichtigen Zweck, ja sie sind das<br />

eigentliche Hauptinstrument für die<br />

fein abgestimmte Kommunikation.<br />

« Es sind kleinste Kopfbewegungen<br />

mit denen Kühe einander mitteilen<br />

ob die Gegenwart der anderen erwünscht,<br />

toleriert oder absolut nicht<br />

geduldet ist » erklärt Martin Ott. Er ist<br />

Mitpächter des Guts Rheinau, einer<br />

der grösseren Landwirtschaftsbetriebe<br />

der Schweiz (www.fintan.ch)<br />

und Stiftungsratspräsident des Forschungsinstituts<br />

für biologischen<br />

Landbau (FiBL) in Frick. Martin Ott<br />

ist ein Verfechter von behornten<br />

Kühen und so sind auf dem Gut<br />

Die Hörner bei Kühen sind<br />

so individuell wie ihre<br />

Persönlichkeiten.<br />

Foto : Nathalie Dubois<br />

Foto : Thomas Haug<br />

Dieses Kalb auf dem<br />

Gut Rheinau darf seine<br />

Hörner behalten.<br />

Rheinau auch keine hornlosen <strong>Tier</strong>e<br />

mehr anzutreffen.<br />

Behornte <strong>Tier</strong>e strahlen durch<br />

ihr arteigenes, natürliches Erscheinungsbild<br />

Autorität aus und haben<br />

deshalb auch mehr Respekt voreinander,<br />

die Rangfolge ist daher viel<br />

klarer als bei Kühen ohne Hörner.<br />

Sie muss zwar in jeder Herde hin<br />

und wieder neu festgelegt oder<br />

bestätigt werden aber in viel geringerem<br />

Mass als bei <strong>Tier</strong>en ohne<br />

Hörner. Deshalb sind Herden mit<br />

behornten Kühen in ihrem Sozialverhalten<br />

viel stabiler als hornlose<br />

Gruppen. Vielfach sind enthornte<br />

<strong>Tier</strong>e nervöser, weil sie in ihrer Stellung<br />

innerhalb der Herde unsicher<br />

sind. Es kann aber auch sein, dass<br />

sie abstumpfen, weil sie durch das<br />

Enthornen sozusagen « sprachlos »<br />

gemacht werden.<br />

Hörner sind auch keine eigentlichen<br />

Waffen, im Gegenteil, für<br />

bestimmte Angriffe oder zur Verteidigung<br />

sind sie aufgrund ihrer<br />

Form und der seitlichen Position<br />

am Kopf der Kuh eher ungeeignet.<br />

Bei Rangkämpfen sind sie vielmehr<br />

wichtige Halteinstrumente um ein<br />

Abrutschen der Köpfe (Verletzungsgefahr)<br />

beim Stemmen zu verhindern.<br />

Solche Rangkämpfe sind denn<br />

auch nur reines Kräftemessen und<br />

verlaufen in der Regel unblutig und<br />

ohne ernsthafte Verletzungen.<br />

Die bio-dynamische Landwirtschaft<br />

sieht im Horn der Kuh einen<br />

zentralen Bestandteil des komplexen<br />

Verdauungssystems der Wiederkäuer.<br />

Hörner sollen sogar einen<br />

direkten Einfluss auf die Milchqualität<br />

haben. Enthornte Kühe sind hier<br />

deshalb undenkbar, weil damit ein<br />

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