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Norbert Bachleitner "Übersetzungsfabriken". Das deutsche ... - OPUS

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Die Mehrzahl der vielbeschäftigten Übersetzer hatte ein - wenn auch nicht immer<br />

abgeschlossenes - Studium hinter sich und versuchte sich neben eigener<br />

schriftstellerischer Arbeit in verschiedenen Bereichen des literarischen Betriebs und<br />

Nachbargebieten, bevorzugt als Journalist bzw. Redakteur, auf dem Theater und im<br />

Erziehungswesen. Die Konkurrenz auf diesem Gebiet ließ keine allzugroßen<br />

Wahlmöglichkeiten. Jede Gelegenheit, eine "Nahrungsquelle" zu erschließen - u.a. auch<br />

durch das von den renommierteren Schriftstellerkollegen ungeliebte Übersetzen - mußte<br />

ergriffen werden.<br />

6. Übersetzerhonorare und Bücherpreise<br />

In seinem 1854 erschienenen Roman Europäisches Sclavenleben, einer Kontrafaktur von<br />

Harriett Beecher-Stowes Onkel Toms Hütte, die in Deutschland ein Publikumsecho<br />

hervorrief, das nur mit den Erfolgen von Scott, Cooper, Dickens und Sue vergleichbar ist,<br />

weist Friedrich Wilhelm Hackländer auf das "Sklavendasein" von Menschen in<br />

unmittelbarer Umgebung des <strong>deutsche</strong>n Lesers hin. Unter diesen weißen Sklaven findet<br />

sich auch ein Übersetzer des Onkel Tom, und Hackländer geißelt die Unsitten des<br />

zeitgenössischen Übersetzungswesens: die Eile infolge der unsinnigen Konkurrenz; den<br />

häufig gewählten Ausweg, aus einigen bestehenden Übersetzungen eine "neue"<br />

anzufertigen; die aus der Sicht des Übersetzers unbarmherzige Kritik; und besonders die<br />

geringen Honorare. 81 Herr Staiger, der Übersetzer des Onkel Tom, erhält zunächst nur 1<br />

Gulden und 30 Kreuzer pro Bogen, nach Intervention des jugendlichen Helden, der für<br />

die Ausgabe Illustrationen liefert, 3 Gulden "für vierzehnstündige mühevolle Arbeit des<br />

Geistes und des Körpers." 82 Seinen Tagesablauf schildert der Übersetzer<br />

folgendermaßen:<br />

"Gewöhnlich stehe ich des Morgens um vier Uhr auf [...], mache mir ein kleines Feuer an, rücke<br />

meinen Tisch an den Ofen, und wenn meine Finger, die während der ebengenannten häuslichen<br />

Geschäfte etwas einfrieren, wieder warm geworden sind, so nehme ich meine Feder und fange<br />

an zu arbeiten. Allemal aber habe ich schon eine Stunde vorher in meinem Bette einige Kapitel<br />

durchlesen müssen, damit mir die Arbeit nicht ganz fremd ist. So arbeite ich fort bis um sieben<br />

Uhr, wo die Kinder aufstehen und - nach ihrem Frühstück verlangen. [...] Von Zwölf bis Eins<br />

nun ist meine Erholung; nach dieser Zeit fange ich wieder an zu arbeiten, und schreibe dann so<br />

fort bis neun, zehn, auch wohl eilf Uhr." "Und was haben Sie dann vor sich gebracht," fragte<br />

eifrig der Maler, "in der Zeit eines solchen langen Tages?" "Wenn es mir gut von der Hand geht,<br />

einen ganzen Bogen," antwortete Herr Staiger. "Wissen Sie, mein lieber Herr, sechszehn<br />

enggedruckte Seiten, wie das hier ist keine Kleinigkeit." 83<br />

Wenn er in vierzehnstündiger Arbeit nur einen Bogen produzierte, so nahm Herr Staiger<br />

seine Übersetzungstätigkeit bei weitem ernster als die Mehrzahl seiner realen<br />

Übersetzerkollegen. Spielhagen berichtet in seinen Memoiren, daß er nach vier bis sechs<br />

gehaltenen Unterrichtsstunden in Nachtarbeit etwa einen Druckbogen übersetzte, wobei<br />

es ihm die erworbene "ziemliche Gewandtheit im Übersetzen" ermöglichte, gleich an die<br />

Niederschrift zu gehen, die "das einzige bei der Arbeit, was Zeit kostete", war. 84 Von

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