Norbert Bachleitner "Übersetzungsfabriken". Das deutsche ... - OPUS
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gegenteilige Extreme: ein Berliner Autor namens Benda soll einen ganzen Roman für 6<br />
Taler geliefert haben. 101<br />
Wie wirkten sich nun die im Vergleich zu den Autorenhonoraren niedrigeren<br />
Übersetzerhonorare auf die Bücherpreise aus? Einige Beobachter des literarischen<br />
Lebens, unter denen Robert Prutz wohl der prominenteste ist, nannten neben den<br />
Vorzügen der englischen und französischen Romane auch das unterschiedliche<br />
Preisniveau als Anreiz für die <strong>deutsche</strong>n Leser, eher zu Übersetzungen als zu <strong>deutsche</strong>n<br />
Originalen zu greifen. 102 Die von Prutz als Beispiel herangezogenen Mystères de Paris<br />
von Sue kosteten in der Ausgabe bei Wigand in 24 Sedezbändchen 1 1/2 Taler. Diese<br />
Ausgabe stellte mit ihrem niedrigen Preis aber eine Ausnahme dar. Nur in billigst<br />
ausgestatteten Reihen, wie sie etwa Franckh produzierte, waren Romane von<br />
durchschnittlichem Umfang um etwa 1/2 Taler zu haben. Romane mit einem weit<br />
geringeren Umfang wie Oliver Twist von Dickens, die Romane von Bulwer in den<br />
Gesamtausgaben von Schumann und Metzler und ein großer Teil der französischen<br />
Übersetzungsproduktion bei Kollmann kosteten immerhin 1 Taler; die Romane Marryats<br />
erreichten mit einem Preis von 2 bis 3 Talern sogar das Niveau der <strong>deutsche</strong>n<br />
Originalproduktion. Auch bei <strong>deutsche</strong>n Romanen variierten die Preise allerdings stark:<br />
Fouqués Zauberring kostete 1816 2 1/2 Taler, Hauffs Lichtenstein 1826 3 3/4 Taler; E. T.<br />
A. Hoffmanns Kater Murr war 1828 in einer wohlfeilen Ausgabe um 2 Taler zu haben,<br />
Tiecks Vittoria Accorombona 1840 um 3 Taler; ein Werk wie Immermanns Epigonen<br />
aber kostete 1836 immerhin 6 Taler. Sieht man von den billigen Reihenprodukten und<br />
Ausnahmen wie dem alle Verkaufsrekorde brechenden Sue-Roman ab, so kosteten<br />
Übersetzungen zwischen 1 und 3 Taler, vergleichbare <strong>deutsche</strong> Originalromane dagegen<br />
2 bis 4 Taler. Daß die Leser - sofern sie Bücher überhaupt kauften und nicht über<br />
Leihbibliotheken bezogen - tatsächlich aufgrund dieser nicht allzu erheblichen<br />
Preisdifferenz Übersetzungen bevorzugten, wie Prutz argumentiert, scheint<br />
unwahrscheinlich. <strong>Das</strong> vorherrschende Motiv für die "Ausländerei" des Publikums dürfte<br />
doch der Reiz, den die neuen Stoffe und Erzählformen ausübten, gewesen sein. 103<br />
7. Die Standorte der Übersetzungsfabriken<br />
An erster Stelle unter den Übersetzungsfabriken ist die 1822 gegründete Firma der<br />
Gebrüder Franckh in Stuttgart zu nennen, die bald ihre ersten Erfolge mit der<br />
Übersetzung der Romane Walter Scotts feiern konnte. Es folgten Übersetzungen von<br />
Cooper, Dickens, Marryat, Lady Morgan und Horace Smith sowie von Dumas, Hugo,<br />
Jules Janin, Victor Étienne de Jouy, Paul de Kock, George Sand, Soulié, Sue und Vidocq;<br />
zur größten <strong>deutsche</strong>n Übersetzungsfabrik wurde die nun umbenannte Franckhsche<br />
Verlagshandlung aber erst durch die 1843 begonnene Reihe "<strong>Das</strong> Belletristische<br />
Ausland", in der bis 1865 3618 Bände erschienen. 104 Franckh beschäftigte u. a. Georg<br />
Nikolaus Bärmann und Karl Ludwig Methusalem Müller, die überwiegende Mehrzahl<br />
der Übersetzungen erschien aber anonym.