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Norbert Bachleitner "Übersetzungsfabriken". Das deutsche ... - OPUS

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"Heißhunger des Übersetzerschwarms" 20 und der schlechte Ruf dieser literarischen<br />

Handlanger bei Kritikern und renommierten Autoren. Nicht nur der Zeitpunkt, zu dem<br />

diese Klagen auftreten, sondern auch ihr Inhalt, weisen auf den Zusammenhang der<br />

Entwicklung der Übersetzungspraxis mit der allgemeinen Kommerzialisierung des<br />

literarischen Lebens hin, und im besonderen auf die Herausbildung des neuen Typus des<br />

"freien" Schriftstellers, der versucht, von seiner literarischen Tätigkeit zu leben.<br />

In seinem zuerst 1773 erschienenen Roman Sebaldus Nothanker widmete Friedrich<br />

Nicolai einige Seiten seiner Satire auf den Buchhandel dem Übersetzungswesen.<br />

Nachdem der alte Magister, der das literarische Leben seiner Zeit aus eigener Erfahrung<br />

als Korrektor kennt, Sebaldus' Illusionen über die Praxis des Schreibens gründlich<br />

zerstört und ihn darüber aufgeklärt hat, daß der eigentliche Motor der Bücherproduktion<br />

das Gewinnstreben der Autoren und Verleger ist, und nicht die "Begierde das<br />

menschliche Geschlecht zu erleuchten", und daß "der grösseste Haufen der Schriftsteller<br />

von Profession" ein Gewerbe "so gut als die Tapetenmaler oder die Kunstpfeifer" treibt, 21<br />

schwenken seine Beobachtungen auf die Übersetzungsfabriken, in zeitgemäßer<br />

Terminologie noch "Übersetzungsmanufakturen". Nach Ansicht des Magisters werden<br />

Übersetzungen auf die gleiche Weise wie Strümpfe hergestellt; auch unterliegen sie<br />

demselben Terminzwang wie eine "Lieferung von Hemdern und Strümpfen für die<br />

Armee". 22 Die gebotene Eile, der Zwang, Messetermine einzuhalten, ist also eine<br />

Ursache für die mindere Qualität der Übersetzungen. Weitere Gründe sind die<br />

Wahllosigkeit der Buchhändler bei der Suche nach Übersetzbarem und die mangelnde<br />

Sprach- und Sachkompetenz der Übersetzer und ihrer Mitarbeiter. 23 Schließlich trägt<br />

nach Nicolai auch die Ignoranz und Leichtgläubigkeit des Publikums zum Verfall des<br />

Übersetzungswesens bei. 24<br />

In einer sachlichen Abhandlung bestätigt der Gelehrte Johann Jacob Hottinger 1782 die<br />

in Nicolais Satire allzu drastisch gezeichneten Merkmale des Übersetzungswesens, und<br />

zwar anläßlich der Übersetzung der Annalen des Tacitus durch Carl Friedrich Bahrdt.<br />

Nachdem er sich genug über die jetzige "Sündflut von Uebersetzungen", die<br />

"Uebersetzungen Rechts und Links, und von allen vier Winden her" 25 ereifert hat,<br />

bezeichnet Hottinger als Motiv für die überhitzte Überrsetzungskonjunktur die "niedrige<br />

Gewinnsucht". <strong>Das</strong> Übersetzen wird als "Taglöhnerarbeit" betrieben; Eile treibt zu<br />

Oberflächlichkeit, denn "der Ankündigung [von Übersetzungen] jagt die Ausführung<br />

hinten auf dem Fusse nach". Die Konkurrenz verschiedener Übersetzungen verstärkt den<br />

Zeitdruck und verhindert fruchtbare Zusammenarbeit: "Jeder will das Monopolium<br />

haben, und schimpft auf die schlechte Waare des andern; und zum Unglück haben beyde<br />

Theile recht." 26 In der Vorrede zu seiner Tacitus-Ausgabe hatte der Übersetzer<br />

angekündigt, daß er alle klassischen griechischen und römischen Geschichtsschreiber zu<br />

übertragen gedenke und dabei jährlich drei bis vier Alphabete liefern, also auf jeden<br />

Bogen drei bis vier Tage Arbeit verwenden wolle. 27 Diese Bemerkungen sind nun Anlaß<br />

für Hottinger, einen Abriß seiner Vorstellungen von Übersetzen zu geben: "Der<br />

Uebersetzer, der etwas mehr als Handlanger seines Verlegers ist, berechnet seine Arbeit

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