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Gegen Alle - Zahnärztekammer Niedersachsen

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Als Kassenarzt sind die beruflichen Sekundärpflichten<br />

stetig mehr und schließlich unerfüllbar und die Kontrollen enger geworden,<br />

während die eigentliche, auf Humanität und Wissenschaft beruhende<br />

Medizin langsam erdrosselt wird<br />

nen Bevölkerungsschichten,<br />

insbesondere auch<br />

der Angehörigen der Altersgruppen.<br />

Die »Gesellschaft«<br />

ist verantwortlich<br />

für die individuellen<br />

Bedürfnisse. Die<br />

Alten verbrauchen – die<br />

Jungen wissen, dass sie<br />

für ihre Elterngeneration<br />

zu zahlen haben<br />

und überlegen, wie sie<br />

sich dem entziehen können,<br />

anstatt die Basis der<br />

Bevölkerungspyramide<br />

zu verbreitern.<br />

Genau dies ist auch in<br />

der ambulanten Medizin<br />

geschehen.<br />

Was das Gesundheitssystem<br />

(ein seltsames<br />

Wort, über das Sie<br />

einmal nachdenken sollten)<br />

betrifft: Selbst die<br />

zunehmende Verweigerung<br />

junger Menschen,<br />

diese Berufe im Gesundheits-<br />

und Bildungswesen<br />

zu ergreifen, die zunehmende Auswanderungsquote<br />

unserer jungen<br />

Akademiker bei gleichzeitig sich verschlechternder<br />

Bildung und »Proletisierung«<br />

(im <strong>Gegen</strong>satz zu Proletarisierung)<br />

der Masse, die Flucht in ein<br />

Surrogat-Leben mit einer vielfältigen<br />

Berauschung, die (staatlich geförderte)<br />

Geiz- und Neidgesellschaft, die gegenseitige<br />

Ausbeutung und damit unter<br />

vielem anderem auch die Verschlechterung<br />

der Konkurrenzfähigkeit unseres<br />

Landes kein Anlass zu einem selbstkritischen<br />

Überdenken ihrer Positionen.<br />

Im <strong>Gegen</strong>teil sehen wir eine ideologische<br />

Verhärtung mit destruktiven Folgen:<br />

eines »Mehr desselben« und einem<br />

Phänomen, das man in der Psychopathologie<br />

der Schizophrenie zuordnet,<br />

dem »Danebenreden«.<br />

Als Kassenarzt sind die beruflichen<br />

Sekundärpflichten stetig mehr und<br />

schließlich unerfüllbar und die Kontrollen<br />

enger geworden, während die<br />

eigentliche, auf Humanität und Wissenschaft<br />

beruhende Medizin langsam<br />

erdrosselt wird. Auch hat sich die wirt-<br />

schaftliche Lage eines Kassenarztes<br />

derart verschlechtert, dass sich die medizinische<br />

Versorgung der Bevölkerung<br />

auf dem bisherigen Niveau nicht halten<br />

lässt. Vielleicht waren die Ansprüche<br />

auch zu hoch.<br />

Niedergelassene Kollegen arbeiten<br />

über 70 Wochenstunden, um über die<br />

Runden zu kommen. Andere verkaufen<br />

ihre Häuser und arbeiten am Wochenende<br />

als Notärzte in England, weil sie<br />

ihre durch den Umsatzrückgang betrieblich<br />

bedingten Schulden nicht tilgen<br />

können und überlegen, Konkurs<br />

anzumelden.<br />

Ich selbst bin 2006 nach Norwegen<br />

ausgewandert. Nicht weil mir das verschwenderische<br />

Gesundheitssystem<br />

dort besser gefällt. Nein, weil ich als<br />

Mensch akzeptiert und nicht wegen<br />

meiner Berufsgruppe von Amts wegen<br />

diskriminiert werde. Trotzdem ist<br />

Deutschland meine Heimat und ich<br />

kann nicht lassen, ständig an sie zu<br />

denken.<br />

In meiner eigenen Familie sieht das<br />

inzwischen so aus, dass meine Kinder<br />

bewusst einen Teil ihrer Ausbildung im<br />

englischsprachigen Ausland gemacht<br />

oder englischsprachige Studiengänge<br />

belegt haben, um international beweglich<br />

zu sein. <strong>Alle</strong> drei tragen sich –<br />

ohne irgendeine Indoktrination durch<br />

mich – mit dem Gedanken auszuwandern.<br />

Eine Tochter arbeitete bis vor kurzem<br />

in Neuseeland und will nach ihrem<br />

Referendariat zurück, die andere<br />

plant, 2006 nach Australien zu gehen.<br />

Medizin hat keines studiert.<br />

Dergleichen höre ich aus anderen<br />

Familien. Wer bleibt?<br />

Kinder, kauft Kämme, es kommen<br />

lausige Zeiten, pflegte meine Großmutter<br />

zu sagen. Damals, in der Nachkriegszeit,<br />

mochten wir ihr nicht glauben.<br />

Um Deutschland ist mir angst.<br />

Dr. med. Wolfgang Wittwer<br />

Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie ●<br />

3 | 2007 · ZKN MIT TEILUNGEN · 155

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