Zusatzmaterial zu AL 2007, 124 Menges - Ad Legendum
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10 <strong>Ad</strong> <strong>Legendum</strong> <strong>Zusatzmaterial</strong> <strong>zu</strong> <strong>AL</strong> <strong>2007</strong>, <strong>124</strong><br />
ligung eines Einwilligungsfähigen in eine medizinische<br />
Behandlung bzw. die Verweigerung dieser 127 rechtsgeschäftlich<br />
ein<strong>zu</strong>ordnen. 128 So habe eine Willenserklärung<br />
grundsätzlich kein „Verfallsdatum“, werde nach § 130 II<br />
BGB nicht dadurch unwirksam, dass derjenige, der die<br />
Willenserklärung abgegeben habe, geschäftsunfähig<br />
werde und ihre Wirksamkeit könne grundsätzlich auch<br />
von dem Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht<br />
werden. 129<br />
3. Zwischenergebnis<br />
Es lässt sich festhalten, dass beide Meinungen bei der Beurteilung<br />
der prinzipiellen Rechtsverbindlichkeit einer<br />
Patientenverfügung einen grundlegend anderen Ansatz<br />
verfolgen. Nach erster Ansicht sei die Patientenverfügung<br />
generell nur als Indiz für den mutmaßlichen Willen<br />
des Patienten <strong>zu</strong> bewerten. Eine Patientenverfügung<br />
vermag den Betreuer dann stets nur im Innenverhältnis<br />
im Rahmen des § 1901 II, III BGB <strong>zu</strong> binden. 130 Hierfür<br />
werden eine Reihe von möglichen Fehlerquellen für eine<br />
korrekte und umfassende Wiedergabe des Patientenwillens<br />
<strong>zu</strong>m Zeitpunkt des Eingriffs angeführt.<br />
Nach der Gegenansicht entfalte die Patientenverfügung<br />
als antizipierte Einwilligung oder Verweigerung jedoch<br />
prinzipiell Außenwirkung und binde daher neben dem<br />
Betreuer auch die übrigen Beteiligten, in erster Linie also<br />
Arzt und Pflegepersonal, unmittelbar. 131 Ein Durchbrechen<br />
dieser unmittelbaren Rechtsverbindlichkeit und ein<br />
hilfsweiser Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen des<br />
Betroffenen wird nur dann für geboten gehalten, wenn<br />
die konkreten Umstände des Einzelfalls dies erfordern.<br />
Ob die von der ersten Ansicht angeführten Argumente<br />
nun wirklich den Schluss einer generellen Indizwirkung<br />
gebieten, oder ob eine Durchbrechung im Einzelfall im<br />
Sinne der zweiten Ansicht sachgerechter ist, kann nur<br />
unter näherer Beleuchtung der kritischen Fallgruppen<br />
entschieden werden.<br />
4. Erörterung anhand einzelner Fallgruppen<br />
a) Tatsächlich eingetretene Behandlungssituation<br />
nicht hinreichend vom Patiententestament umfasst<br />
Einigkeit wird man insoweit annehmen können, als<br />
eine Patientenverfügung nur dann in irgendeiner Form<br />
Bindungswirkung haben kann, wenn der Verfasser die<br />
wirklich eingetretene Behandlungssituation auch regeln<br />
wollte. Fraglich ist aber, wann eine Patientenverfügung<br />
die gegenwärtige Sachlage nicht mehr <strong>zu</strong> erfassen vermag.<br />
132<br />
Es kommen grundsätzlich zwei Fehlerquellen in Betracht.<br />
Entweder hat der Verfasser die aus seiner ex ante-<br />
Sicht in der Zukunft etwaig eintretenden Behandlungssituationen<br />
äußerst genau und detailliert beschrieben, die<br />
inzwischen aber tatsächlich eingetretene Sachlage nicht<br />
bedacht, oder aber er hat, um das Patiententestament<br />
gerade für eine möglichst große Anzahl von Behandlungssituationen<br />
anwendbar <strong>zu</strong> machen, <strong>zu</strong> unbestimmte<br />
Begriffe gewählt. 133 Die Wahrscheinlichkeit, dass eine<br />
Patientenverfügung einer der beiden Fallgruppen unterfällt,<br />
erscheint groß. In den wenigsten Fällen werden<br />
antizipierte Behandlungsanweisungen alle <strong>zu</strong> regelnden<br />
Behandlungssituationen detailliert erfassen können,<br />
ohne dabei auch auf unbestimmte Begriffe <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>greifen.<br />
134<br />
Hierin sehen Vertreter der ersten Ansicht einen Grund,<br />
die unmittelbare Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung<br />
generell ab<strong>zu</strong>lehnen. 135<br />
Dem ist jedoch entgegen<strong>zu</strong>halten, dass eine Patientenverfügung<br />
ohnehin stets der Auslegung, d.h. der Feststellung<br />
ihres Inhalts dahingehend, ob der Patient eine<br />
verbindliche Erklärung abgeben wollte, für welche Fälle<br />
sie gedacht ist und welche Behandlungsanweisungen er<br />
für diese Fälle erklärt hat, bedarf. 136 Die Auslegung hat<br />
sich dabei wie bei den Verfügungen von Todes wegen 137<br />
allein am Willen des Verfassers <strong>zu</strong> orientieren. 138 Es ist<br />
folglich ausreichend, dass der Betroffene die Vorausset<strong>zu</strong>ngen,<br />
unter denen er eine Behandlung oder deren<br />
Unterlassen verlangt, so bestimmt darstellt, dass sich im<br />
Nachhinein im Wege der Auslegung sein wirkliche Wille<br />
eindeutig ermitteln lässt. 139<br />
Dies wird man verneinen müssen, wenn der Verfasser<br />
eine Behandlung bzw. eine Nichtbehandlung von einem<br />
derart unbestimmten Begriff abhängig macht, der ohne<br />
eine weitere Individualisierung praktisch inhaltslos ist.<br />
Zu denken ist an Ausdrücke wie „lebenswertes Leben“.<br />
Ein solcher Begriff muss, damit er einen für einen Dritten<br />
erkennbaren Aussagewert erhält, erst mit weiteren<br />
Ausführungen <strong>zu</strong> den individuellen Werten und Überzeugungen<br />
des Verfassers ausgefüllt werden. 140 Es ist<br />
daher <strong>zu</strong> empfehlen, dass derjenige, der eine Patientenverfügung<br />
ab<strong>zu</strong>fassen beabsichtigt, <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> den<br />
127 Vgl. BGHZ 29, 33 (36); 105, 45 (47 f.), beide Entscheidungen<br />
ordnen die Patientenverfügung aber als rechtsgeschäftsähnliche<br />
Handlung ein und lehnen eine Willenserklärung ausdrücklich<br />
ab.<br />
128 Berger, JZ 2000, 797 (802); Roth, JZ 2004, 494 (496); auch der<br />
vom BGH gebrauchte Begriff „Willensbekundung“ deutet darauf<br />
hin, BGH NJW 2003, 1588 (1589).<br />
129 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 106 f.<br />
130 Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594 (604); MüKo – Schwab,<br />
§ 1904, Rn. 21.<br />
131 MüKo – Schwab, § 1904, Rn. 21.<br />
132 Die Sachlage muss stets umfasst sein, vgl. nur BGH NJW<br />
2003, 1588 (1591); Röver, Einflussmöglichkeiten des Patienten,<br />
S. 161 f.; Hahne, FamRZ 2003, 1619 (1620).<br />
133 Dröge, BtPrax 1998, 199 (202); Dodegge/Roth – Roth, BtKomm,<br />
C Rn. 107; Dröge, BtPrax 1998, 199 (202).<br />
134 Spann, MedR 1983, 13 (15); vgl. auch Dröge, BtPrax 1998, 199<br />
(202).<br />
135 Dodegge/Roth – Roth, BtKomm, C Rn. 108; Füllmich, NJW<br />
1990, 2301 (2302); Laufs, NJW 1998, 3399 (3400); auch Sternberg-Lieben,<br />
NJW 1985, 2734 (2736).<br />
136 Palandt – Diederichsen, vor § 1896, Rn. 9; Röver, Einflussmöglichkeiten<br />
des Patienten, S. 162; Lipp, Patientenautonomie,<br />
S. 24 f.; Roth, JZ 2004, 494 (498 ff.); Keilbach, FamRZ 2003, 969<br />
(976).<br />
137 Brox, Erbrecht, Rn. 195; Michalski, Erbrecht, Rn. 339.<br />
138 Roth, JZ 2004, 494 (499).<br />
139Keilbach, FamRZ 2003, 969 (977); Taupitz, Gutachten 63. DJT,<br />
A 109.<br />
140 So auch Dodegge/Roth – Roth, BtKomm, C Rn. 106, der die<br />
Möglichkeit der Auslegung jedoch nicht erwähnt.