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Zusatzmaterial zu AL 2007, 124 Menges - Ad Legendum

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<strong>Zusatzmaterial</strong> <strong>zu</strong> <strong>AL</strong> <strong>2007</strong>, <strong>124</strong> <strong>Ad</strong> <strong>Legendum</strong> 7<br />

legen <strong>zu</strong> können. Der einwilligungsfähige Mensch, der<br />

unmittelbar vor dem in Rede stehenden Eingriff einen<br />

Behandlungsverzicht <strong>zu</strong> äußern imstande ist, kann sein<br />

Selbstbestimmungsrecht unvernünftig, selbstschädigend<br />

und seinem Wohl fundamental widersprechend ausüben,<br />

also auch, wenn die medizinische Maßnahme <strong>zu</strong> seiner<br />

vollständigen Genesung führen würde. 77 Er darf Operationen,<br />

Chemotherapie und Dialyse ablehnen, selbst<br />

wenn er bei Nichtvornahme alsbald sterben wird. Er darf<br />

also das Leben verneinen. 78 Insoweit unterwirft der Staat<br />

den einwilligungsfähigen Einzelnen keinem „Lebensschutz“,<br />

sondern bewertet das Selbstbestimmungsrecht<br />

gar höher als das Leben. 79 Es ist nicht ein<strong>zu</strong>sehen, warum<br />

dies mit dem Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit<br />

umgekehrt werden und in einen „Lebenszwang“ münden<br />

sollte. Das Selbstbestimmungsrecht Betroffener, das<br />

bei Entscheidungsfähigkeit auch für Fälle eines nicht<br />

irreversiblen tödlichen Verlaufs gilt, würde nur wegen<br />

Eintritts der Entscheidungsunfähigkeit für andere Fälle<br />

als den unumkehrbaren tödlichen Verlauf beseitigt. 80<br />

Überzeugen kann auch nicht das vom BGH angeführte<br />

Argument, die Entscheidungsmacht des Betreuers,<br />

in der Regel wird ein solcher bestellt sein, sei nicht deckungsgleich<br />

mit der aus dem Selbstbestimmungsrecht<br />

folgenden Entscheidungsmacht des einwilligungsfähigen<br />

Patienten, sondern vielmehr als gesetzliche Vertretungsmacht<br />

an rechtliche Vorgaben, also an das Vorliegen<br />

eines irreversiblen tödlichen Verlaufs, gebunden. 81 Dem<br />

ist nämlich entgegen<strong>zu</strong>halten, dass der Betreuer, auch<br />

dies betont der BGH an anderer Stelle, 82 mit der Patientenverfügung<br />

ausschließlich die im Voraus getroffene<br />

höchstpersönliche Entscheidung des Betroffenen um<strong>zu</strong>setzen<br />

hat, er also insoweit gerade keine eigene stellvertretende<br />

(Wert-)Entscheidung trifft. 83 Der Betreuer<br />

handelt zwar in eigener rechtlicher Verantwortung. 84 Es<br />

handelt sich beim „Umsetzen“ einer Patientenverfügung<br />

aber gerade nicht um eine „Entscheidungsmacht des Betreuers“,<br />

sondern immer noch um die des Betroffenen<br />

selbst. Von dieser Entscheidungsmacht hat er lediglich<br />

im Voraus Gebrauch gemacht.<br />

Ferner hat auch das BVerfG in einer Entscheidung 85<br />

festgestellt, dass die Bluttransfusion bei einem einwilligungsunfähigen<br />

Zeugen Jehovas nicht durchgeführt<br />

werden dürfe, wenn der Betreuer entsprechend dem in<br />

einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betroffenen<br />

die Einwilligung versagt. 86 Dies gelte, obgleich<br />

in dem <strong>zu</strong> entscheidenden Fall das Grundleiden der<br />

Betroffenen keinen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen<br />

hatte. 87 Auch das BVerfG stellt also für die<br />

Zulässigkeit einer im Voraus getroffenen Ablehnung von<br />

lebenserhaltenden Maßnahmen keine auf einen irreversiblen<br />

tödlichen Verlauf des Grundleidens beschränkende<br />

Grenze auf. 88<br />

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die<br />

nach dem BGHZ für die Beachtlichkeit von Patientenverfügungen<br />

de lege lata zwingende Vorausset<strong>zu</strong>ng eines<br />

irreversiblen tödlichen Verlaufs des Grundleidens einen<br />

nicht <strong>zu</strong> rechtfertigenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht<br />

des Einzelnen bedeutet. Das Patiententesta-<br />

ment muss vielmehr in jeder Lebenslage und unabhängig<br />

von irgendwie gearteten Vorgaben grundsätzliche<br />

Anwendung finden.<br />

V. Inhalt des Patiententestaments<br />

Die inhaltliche Gestaltung des Patiententestaments ist<br />

dem Verfasser weitgehend freigestellt. Diese Aussage<br />

muss jedoch insoweit eingeschränkt werden, als dem<br />

Inhalt einer Patientenverfügung Grenzen gesetzt sind<br />

durch die Rechtsordnung. Diese Grenze ist dort <strong>zu</strong> sehen,<br />

wo das Sterbeverlangen des Patienten für den Arzt<br />

eine sittenwidrige oder strafbare Handlung darstellen<br />

würde. 89 Verstoßen Patientenanweisungen gegen ein<br />

gesetzliches Verbot sind sie nichtig gemäß § 134 BGB. 90<br />

Ein un<strong>zu</strong>lässiger Inhalt hat, losgelöst von der Frage,<br />

welche Bindungswirkung einer <strong>zu</strong>lässigen Patientenverfügung<br />

im Übrigen bei<strong>zu</strong>messen ist, von vornherein<br />

keine Rechtsverbindlichkeit für die Beteiligten. 91 Die in<br />

Patientenverfügungen getroffenen Anweisungen betreffen<br />

für gewöhnlich die medizinische Versorgung in der<br />

letzten Lebensphase. Sie lassen sich unter dem Stichwort<br />

„Sterbehilfe“ <strong>zu</strong>sammenfassen. Es ist jedoch eine genaue<br />

Differenzierung nötig, um <strong>zu</strong> bestimmen, welche Formen<br />

der Sterbehilfe einen <strong>zu</strong>lässigen Inhalt für ein Patiententestament<br />

darstellen können und welche nicht.<br />

1. Aktive Sterbehilfe<br />

Unter aktiver oder direkter Sterbehilfe versteht man die<br />

gezielte Verkür<strong>zu</strong>ng eines verlöschenden Lebens durch<br />

eine aktive Einflussnahme auf den Sterbeprozess. 92 Erfolgt<br />

die Tötung ohne vorher geäußertes Verlangen des<br />

Patienten, machen sich Arzt und Pflegepersonal wegen<br />

Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar. Hat der Pati-<br />

77 Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594 (598); Dröge, Bt-<br />

Prax 1998, 199 (199); Füllmich, Selbstbestimmungsrecht, S. 39,<br />

Fn. 123.<br />

78 Coeppicus, Rpfleger 2004, 262 (263); Lipp, BtPrax 2002, 47<br />

(47 f.).<br />

79 Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594 (598).<br />

80 Hufen, ZRP 2003, 248 (250 f.); Lipp, FamRZ 2004, 317 (319);<br />

Uhlenbruck, NJW 2003, 1710 (1712); Verrel, NStZ 2003, 449<br />

(451).<br />

81 BGH NJW 2003, 1588 (1590).<br />

82 BGH NJW 2003, 1588 (1589 f.).<br />

83 Lipp, FamRZ 2004, 317 (321); Schlüter, BGB-Familienrecht,<br />

S. 291 f.<br />

84 BGH NJW 2003, 1588 (1589).<br />

85 BVerfG NJW 2002, 206-207.<br />

86 BVerfG NJW 2002, 206, 207.<br />

87 Durch Komplikationen nach einer Operation war eine Bluttransfusion<br />

<strong>zu</strong>r Lebenserhaltung notwendig geworden.<br />

88 So auch Coeppicus, Rpfleger 2004, 262 (263); ähnlich Ohler/<br />

Weiß, NJW 2002, 194 (195).<br />

89 Laufs/Uhlenbruck – Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts,<br />

§ 132, Rn. 37.<br />

90 Dodegge/Roth – Roth, BtKomm, C Rn. 98.<br />

91 Beachte aber die Ausführungen unter B. VI. 6.<br />

92 Kutzer, FPR 2004, 683 (684); Sch/Sch – Eser, Vorbem §§ 211 ff.,<br />

Rn. 24; Tröndle/Fischer – Tröndle, Vor §§ 211 ff., Rn. 17; Wessels/Hettinger,<br />

Strafrecht BT/1, § 1 III 1, Rn. 28.

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