Zusatzmaterial zu AL 2007, 124 Menges - Ad Legendum
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12 <strong>Ad</strong> <strong>Legendum</strong> <strong>Zusatzmaterial</strong> <strong>zu</strong> <strong>AL</strong> <strong>2007</strong>, <strong>124</strong><br />
samkeitsvorausset<strong>zu</strong>ng für eine Patientenverfügung in<br />
erheblicher Weise in das Selbstbestimmungsrecht des<br />
Patienten eingreift. 147 Eine Befristung der Geltungsdauer<br />
würde dem Patienten eine <strong>zu</strong>kunftsbezogene Vorsorge<br />
immer dann unmöglich machen, wenn er seine Einwilligungsfähigkeit<br />
plötzlich verliert und über einen längeren<br />
Zeitraum, etwa als dauerkomatöser Patient, weiterlebt.<br />
148<br />
Zudem spricht gegen einen Verlust der Rechtsverbindlichkeit<br />
durch Zeitablauf, dass auch der Gesetzgeber im<br />
Rahmen des Betreuungsverhältnisses davon ausgeht, dass<br />
die vom Betreuten vor Eintritt der Betreuungsbedürftigkeit<br />
geäußerten Wünsche grundsätzlich fortwirken und<br />
keinem Gültigkeitsverfall unterliegen, § 1901 III 2 BGB.<br />
Durch die Formulierung „es sei denn“ in § 1901 III 2<br />
BGB wird vermutet, dass der Betroffene an den vor der<br />
Betreuung geäußerten Wünschen festhalten will.<br />
Im Regelfall wird man demjenigen, der ein Patiententestament<br />
errichtet hat, auch unterstellen können, dass ihm<br />
<strong>zu</strong>m einen die Erheblichkeit dieser Erklärung und <strong>zu</strong>m<br />
anderen die Tatsache, dass sie solange „im Raum steht“<br />
und damit verbindliche Behandlungsanweisung ist, bis<br />
sie widerrufen wird, bewusst ist. Hat sich sein Wille hinsichtlich<br />
Art und Umfang der medizinischen Behandlung<br />
geändert, wird der Betroffene daher regelmäßig aus<br />
eigenem Interesse und von sich aus eine entsprechende<br />
Änderung der Patientenverfügung vornehmen.<br />
Das Bedürfnis nach einem grundsätzlichen zeitlichen<br />
Verfall erscheint sehr gering. Eine Entwertung der unmittelbaren<br />
Bindungswirkung hin <strong>zu</strong> einer Indizwirkung<br />
wird man folglich nur in Ausnahmefällen annehmen<br />
können. Soll etwa aufgrund einer vor 40 Jahren abgefassten<br />
und seitdem nicht mehr bestätigten Patientenverfügung<br />
eine lebenserhaltende Maßnahme unterlassen<br />
werden, erscheint es sehr fraglich, ob das noch dem aktuellen<br />
und wirklichen Willen des Patienten entspricht.<br />
Nur in solchen Fällen wird man daher von einer Indizwirkung<br />
der Patientenverfügung ausgehen müssen.<br />
d) Zwischenzeitlich eingetretener medizinischer<br />
Fortschritt<br />
Fraglich ist ferner, ob eine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit<br />
dann <strong>zu</strong> verneinen ist, wenn in dem Zeitraum<br />
zwischen Errichtung der Patientenverfügung und ärztlichem<br />
Eingriff die medizinische Entwicklung weiter<br />
vorangeschritten ist. 149<br />
Ein genereller medizinischer Fortschritt wird stets <strong>zu</strong><br />
bejahen sein. Jede Wissenschaft entwickelt sich fortlaufend<br />
weiter. Eine nur auf diese generelle medizinische<br />
Fortentwicklung gründende Entwertung einer Patientenverfügung<br />
ist nicht tragbar. Andernfalls könnte man<br />
die Verbindlichkeit nahe<strong>zu</strong> jeder Patientenverfügung relativieren.<br />
Anders verhält es sich indes, wenn sich durch eine medizinische<br />
Weiterentwicklung für den Patienten in seiner<br />
konkreten Situation neue oder verbesserte Behandlungsmethoden<br />
auftun. Waren ihm diese Behandlungsmethoden<br />
im Zeitpunkt der Errichtung nicht bekannt, konnte<br />
er sie bei seiner Willensbildung auch nicht berücksich-<br />
tigen. Es ist daher nicht gewiss, ob der Patient in der<br />
aktuellen Lage immer noch an diesem Willen festhalten<br />
oder aber aufgrund der sich nun <strong>zu</strong> seinen Gunsten veränderten<br />
Sachlage in eine Weiterbehandlung einwilligen<br />
würde.<br />
In solchen Fällen wird man einem Patiententestament<br />
folglich keine uneingeschränkte Bindungswirkung <strong>zu</strong>schreiben,<br />
sondern es lediglich als Indiz bei der Ermittlung<br />
des mutmaßlichen Willens berücksichtigen können.<br />
Hierfür wird man jedoch <strong>zu</strong>sätzlich voraussetzen müssen,<br />
dass der medizinische Fortschritt die konkrete Behandlungssituation<br />
des Patienten nicht nur <strong>zu</strong> berühren,<br />
sondern vielmehr sie mehr als nur unerheblich <strong>zu</strong> verändern<br />
imstande ist. Kommt etwa ein neu entwickeltes<br />
Schmerzmittel auf den Markt, welches die Schmerzen<br />
des Patienten jedoch nicht stärker unterdrücken kann als<br />
solche, die es <strong>zu</strong>m Zeitpunkt der Errichtung auch schon<br />
gab, so wird man keine Veränderung der Sachlage feststellen<br />
können.<br />
Haben sich die Möglichkeiten für eine Behandlung des<br />
Patienten hingegen als Folge des Fortschritts erheblich<br />
verbessert und ist das Patiententestament folglich nur<br />
ein Indiz für den mutmaßlichen Willen, so wird man<br />
bei der Ermittlung desselben insbesondere untersuchen<br />
müssen, ob durch diese neuen Behandlungsmethoden<br />
die in der Patientenverfügung <strong>zu</strong>m Ausdruck gekommenen<br />
Ängste des Betroffenen beseitigt sind, ob also die<br />
ehemals ausschlaggebenden Gründe für die Errichtung<br />
weggefallen sind.<br />
5. Stellungnahme<br />
Nach alledem bedarf nun die Frage einer Entscheidung,<br />
ob die in den Fallgruppen genannten Einzelfälle, in denen<br />
eine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit ab<strong>zu</strong>lehnen<br />
ist, so stark <strong>zu</strong> gewichten sind, dass dem Rechtsinstitut<br />
Patientenverfügung generell eine solche Rechtsverbindlichkeit<br />
abgesprochen werden muss, oder ob eine Entwertung<br />
<strong>zu</strong>r Indizwirkung auf den Einzelfall beschränkt<br />
sein sollte.<br />
Die generelle Annahme einer Indizwirkung erwies sich<br />
in keiner der Fallgruppen als sachgerecht. Angebracht<br />
erschien sie lediglich in Ausnahmefällen. Vor allem wird<br />
man vielfach schon im Wege der Auslegung der Patientenverfügung<br />
diese an die aktuell eingetretene Behandlungssituation<br />
anpassen können.<br />
Für die Annahme einer Rechtsverbindlichkeit im Sinne<br />
der zweiten Ansicht spricht ferner die Tatsache, dass derjenige,<br />
der eine Patientenverfügung errichtet, diese nicht<br />
nur als „Entscheidungshilfe“ für den Betreuer vorsieht,<br />
sondern allgemein schon im Vorwege eine Einwilligung<br />
oder Versagung dieser an den Arzt richten will.<br />
Zudem ergibt ein für die Praxis entscheidender Unter-<br />
147 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 116.<br />
148 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 116.<br />
149 Dieses Problem <strong>zu</strong>mindest ansprechend: Taupitz, Gutachten<br />
63. DJT, A 115.