Zusatzmaterial zu AL 2007, 124 Menges - Ad Legendum
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<strong>Zusatzmaterial</strong> <strong>zu</strong> <strong>AL</strong> <strong>2007</strong>, <strong>124</strong> <strong>Ad</strong> <strong>Legendum</strong> 19<br />
aufgestellt.<br />
Solche Vorgaben betreffen existentielle Grundfragen<br />
des Bürgers, für deren Regelung nach der Wesentlichkeitstheorie<br />
wegen der Grundrechtsrelevanz ein förmliches<br />
Gesetz erforderlich wäre. 216 Aus diesem Grund ist<br />
es bereits höchst fragwürdig, ob die Entscheidung des<br />
BGH einer verfassungsrechtlichen Kontrolle überhaupt<br />
standhielte. Jedenfalls ist es aber dringend geboten, dass<br />
der Gesetzgeber alsbald in diesem Bereich regelnd tätig<br />
wird und damit für alle Beteiligten Rechtsklarheit<br />
schafft.<br />
II. Vorschläge für eine gesetzliche Regelung des Patiententestaments<br />
Dieses generelle Bedürfnis hat da<strong>zu</strong> geführt, dass Vorschläge<br />
einer Bewertung und gesetzlichen Regelung<br />
von Patientenverfügungen von der Enquete-Kommission<br />
„Ethik und Recht der modernen Medizin“<br />
und der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“<br />
hervorgebracht worden sind, woran sich<br />
wiederum Empfehlungen anderer Interessenvereinigungen<br />
angeschlossen haben.<br />
1. Der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“<br />
Die von der Justizministerin eingesetzte interdisziplinäre<br />
Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“<br />
(AGP) hat am 10. Juni 2004 ihren Bericht vorgestellt.<br />
Auf der Grundlage der darin enthaltenden Vorschläge<br />
hat die Bundesministerin am 5. November 2004 den<br />
Entwurf eines dritten Gesetzes <strong>zu</strong>r Änderung des Betreuungsrechts<br />
vorgelegt, 217 den sie inzwischen zwecks<br />
Überarbeitung wieder <strong>zu</strong>rückgezogen hat. Er soll später<br />
nicht mehr als Kabinettsvorlage eingebracht, sondern<br />
als „Formulierungshilfe“ einem Gruppenantrag aus der<br />
SPD-Fraktion <strong>zu</strong>r Verfügung gestellt werden.<br />
Im Folgenden wird daher ausschließlich auf die Ausführungen<br />
der Arbeitsgruppe eingegangen, die sich aber<br />
im Wesentlichen mit denen des Referentenentwurfs decken.<br />
Der Bericht der AGP sieht einen Gesetzentwurf vor, der<br />
dem Einzelnen ein Maximum an Freiheit und Autonomie<br />
hinsichtlich der antizipativen Festlegung der späteren<br />
medizinischen Versorgung bei einem Minimum an<br />
gesetzlichen Vorgaben und staatlichen Kontrollmechanismen<br />
gewährt.<br />
So bedürfe die Patientenverfügung keiner Form 218 und<br />
sei in ihrer Reichweite nicht auf ein bestimmtes Krankheitsstadium<br />
beschränkt, insbesondere nicht auf einen<br />
irreversiblen tödlichen Verlauf des Grundleidens. 219 Der<br />
in einer Patientenverfügung geäußerte Wille sei nicht<br />
befristet, sondern gelte vielmehr solange fort, bis konkrete<br />
Anhaltspunkte für einen Widerruf ersichtlich würden.<br />
220<br />
Ferner solle das VormG nur dann zwecks Genehmigung<br />
der Betreuerentscheidung eingeschaltet werden, wenn<br />
Arzt und Betreuer unterschiedlicher Auffassung über<br />
den Inhalt einer Patientenverfügung seien. 221 Eine solche<br />
Beschränkung auf Konfliktfälle gelte sowohl, wenn der<br />
Betreuer in eine ärztliche Maßnahme einwillige, die mit<br />
den Gefahren des gültigen § 1904 I BGB verbunden sei,<br />
als auch, wenn dieser die Einwilligung verweigere oder<br />
widerrufe und an<strong>zu</strong>nehmen sei, dass der Betreute auf<br />
Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme<br />
sterbe, § 1904 III i.V.m. I, II BGB-AGP. 222<br />
Eine entsprechende Entscheidung eines Bevollmächtigten<br />
müsse das VormG generell nicht genehmigen, also<br />
auch nicht in Konfliktfällen, § 1904 V 2 BGB-AGP. Die<br />
dem <strong>zu</strong>grunde liegende Vollmacht müsse aber schriftlich<br />
erteilt sein und diese Maßnahmen ausdrücklich umfassen,<br />
§ 1904 V 1 BGB-AGP. 223<br />
2. Der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der<br />
modernen Medizin“<br />
Einen den staatlichen Lebensschutz wesentlich stärker<br />
betonenden und damit die Patientenautonomie durch<br />
staatliche Vorgaben und Kontrollen beschränkenden<br />
Gesetzesvorschlag hat die Enquete-Kommission<br />
„Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Bundestages<br />
(EK) mit ihrem Zwischenbericht Patientenverfügungen<br />
224 vom 13. September 2004 vorgestellt.<br />
Eine Patientenverfügung müsse stets im Kontext von<br />
Fürsorge und Gerechtigkeit betrachtet werden. 225 Zwar<br />
gelte auch hier der antizipiert getroffene Wille des Patienten<br />
grundsätzlich fort, wenn keine konkreten Umstände<br />
für eine Willensänderung sprächen und die aktuelle<br />
Behandlungssituation hinreichend umfasst sei,<br />
§ 1901b II BGB-EK. 226 Es müsse für die Errichtung einer<br />
Patientenverfügung aber die Schriftform eingehalten<br />
werden, § 1901b I 1 BGB-EK. 227<br />
Zudem wird die Reichweite von Patientenverfügungen,<br />
die einen Behandlungsverzicht oder –abbruch vorsehen,<br />
der <strong>zu</strong>m Tode führen würde, auf Fallkonstellationen<br />
beschränkt, in denen das Grundleiden irreversibel<br />
ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher<br />
Erkenntnis <strong>zu</strong>m Tode führen wird, § 1901b III, IV<br />
BGB-EK. 228 Ferner setzt der Entwurf voraus, dass vor<br />
einer Entscheidung gegen Aufnahme oder Fortset<strong>zu</strong>ng<br />
von lebenserhaltenden Maßnahmen der Betreuer bzw.<br />
Bevollmächtigte obligatorisch durch ein Konsil über<br />
die Bindungswirkung der Verfügung beraten werden<br />
216 BVerfGE 49, 89 (126); 77, 170 (230); Degenhart, Staatsorganisationsrecht,<br />
Rn. 335 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht,<br />
§ 8, Rn. 21 f.<br />
217 RefE, in: Lipp, Patientenautonomie, im Anhang.<br />
218 Bericht AGP, III.2.<br />
219 Bericht AGP, V.1.1.1.<br />
220 Bericht AGP, V.1.2.2.a).<br />
221 Bericht AGP, V.1.2.2.b) <strong>zu</strong> § 1904 II BGB neu.<br />
222 Bericht AGP, V.1.2.2.a).<br />
223 Bericht AGP, V.1.2.2.b) <strong>zu</strong> § 1904 V BGB neu.<br />
224 BT-Drs. 15/3700.<br />
225 BT-Drs. 15/3700, 2.2.<br />
226 Vgl. auch BT-Drs. 15/3700, 6.1.<br />
227 Vgl. auch BT-Drs. 15/3700, 6.3.<br />
228 Vgl. auch BT-Drs. 15/3700, 6.2.