Zusatzmaterial zu AL 2007, 124 Menges - Ad Legendum
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<strong>Zusatzmaterial</strong> <strong>zu</strong> <strong>AL</strong> <strong>2007</strong>, <strong>124</strong> <strong>Ad</strong> <strong>Legendum</strong> 17<br />
gungserteilung angerufen werden. 197 Ein Konfliktfall sei<br />
hingegen sicher gegeben, wenn der Arzt die Patientenverfügung<br />
im Gegensatz <strong>zu</strong>m Betreuer für unbeachtlich<br />
halte, bzw. der umgekehrte Fall, dass der Arzt eine<br />
Nichtvornahme bzw. einen Abbruch der Behandlung<br />
aufgrund der Patientenverfügung wolle, der Betreuer<br />
diese jedoch als nicht bindend erachte und daher eine<br />
(Weiter-)Behandlung durch<strong>zu</strong>setzen versuche. 198<br />
(d) Stellungnahme<br />
Für ein vormundschaftsgerichtliches Genehmigungsverfahren<br />
spricht <strong>zu</strong>nächst dessen Präventivfunktion.<br />
Es soll in erster Linie den Betreuten in seinen Grundrechten<br />
auf Leben, Selbstbestimmung und Menschenwürde<br />
schützen. 199 Zu nennen sind im Zusammenhang<br />
mit dem Schutz des Betreuten zwei Argumente, die<br />
Kontrollfunktion des Gerichts und der auf dem Betreuer<br />
lastende Rechtfertigungsdruck. 200<br />
So überprüft das Gericht, ob der Betreuer mit seiner Behandlungsanweisung<br />
auch entsprechend dem im Patiententestament<br />
erklärten Willen handelt bzw. ob die konkreten<br />
Umstände ein Abweichen rechtfertigen können<br />
und ob er in einem solchen Fall den mutmaßlichen Willen<br />
des Betreuten vorher erschöpfend ermittelt hat. Die<br />
Genehmigung ist eine Außengenehmigung und damit<br />
Vorausset<strong>zu</strong>ng für die Wirksamkeit der Entscheidung<br />
des Vertreters. 201<br />
Zwar muss man bezweifeln, dass das Gericht etwaige<br />
Meinungsumschwünge des Betreuten eher kennen wird<br />
bzw. dessen mutmaßlichen Willen besser <strong>zu</strong> ermitteln<br />
vermag als der dem Betroffenen oftmals nahe stehende<br />
Betreuer. Dennoch wird das VormG in evidenten<br />
Fällen eines Missbrauchs der Vertretungsmacht diesen<br />
erkennen können mit der Folge, die Genehmigung <strong>zu</strong><br />
versagen und Sanktionen gegen den pflichtwidrig handelnden<br />
Betreuer ein<strong>zu</strong>leiten. Mitunter wird dieser ein<br />
nicht geringes eigenes Interesse daran haben, den Willen<br />
seines Schutzbefohlenen hinter eigenen Motivationen<br />
und Überlegungen <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>stellen. Handelt es sich bei<br />
dem Betreuten etwa um einen Langzeitpatienten, dessen<br />
Vermögen durch die Behandlungskosten aufgezehrt<br />
<strong>zu</strong> werden droht und ist der Betreuer Begünstigter im<br />
Erbfall, so besteht naturgemäß auch die Gefahr, dass dieser<br />
dem Betreuten einen in Wirklichkeit nie vorhanden<br />
gewesenen Abbruchwillen zwecks „Rettung“ des Restvermögens<br />
unterschiebt. Die Hemmschwelle <strong>zu</strong> solch<br />
einem den Tod des Patienten herbeiführenden Verhalten<br />
dürfte in der Regel relativ niedrig sein, erscheint das Leben<br />
des Betroffenen einem gesunden Außenstehenden<br />
oftmals ohnehin nicht mehr lebenswert.<br />
Eng verbunden mit dem Argument der Kontrollfunktion<br />
ist daher das des Rechtfertigungsdrucks. Es macht einen<br />
für das Handeln des Betreuers entscheidenden Unterschied,<br />
ob dieser seine Entscheidung für bzw. gegen<br />
die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen völlig<br />
alleine, unabhängig von der Kontrolle eines Dritten<br />
treffen kann, oder ob der Betreuer weiß, dass er seine<br />
Entscheidung noch vor einem Gericht plausibel erklären<br />
müssen wird. 202 Vor allem trägt der Betreuer für ein Abweichen<br />
von dem in erklärten Willen des Patienten die<br />
Beweislast. 203 Das Wissen um eine zwangsläufig auf ihn<br />
<strong>zu</strong>kommende staatliche Überprüfung seines Handelns<br />
wird den Betreuer daher gewöhnlich <strong>zu</strong>r pflichtmäßigen<br />
Erfüllung seiner Aufgaben anhalten.<br />
Neben dem Schutz des Betreuten dient ein Genehmigungserfordernis<br />
auch dem Schutz bzw. der Entlastung<br />
des Betreuers. Diesem soll durch eine Kontrolle des<br />
VormG die Last einer alleinigen Entscheidung gegen<br />
lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlungen genommen<br />
werden. 204<br />
Durch eine Genehmigung des VormG wird dem Betreuerhandeln<br />
der „Stempel der Rechtmäßigkeit“ aufgedrückt,<br />
wodurch allen Beteiligten die Sicherheit gegeben<br />
werden soll, dass die Entscheidung des Betreuers auch<br />
wirklich dem Willen des Patienten entspricht. Der Betreuer<br />
ist dadurch auch dem Risiko einer strafrechtlichen<br />
ex post-Betrachtung entzogen.<br />
Diesen in der Sache durchaus überzeugenden Gründen<br />
ist jedoch der effektive Schutz der Selbstbestimmung<br />
entgegen<strong>zu</strong>halten. Hat der Patient selbst mittels einer<br />
eindeutigen Patientenverfügung die Einwilligung in lebenserhaltende<br />
Maßnahmen verweigert, so müsste er<br />
nach den bisherigen Ausführungen dennoch eine Genehmigung<br />
des VormG abgewartet werden. Bedenkt<br />
man, dass ein solches vormundschaftsgerichtliches Verfahren<br />
mitunter Wochen in Anspruch nimmt und in dieser<br />
Zeit der Patient gegen seinen ausdrücklich in einem<br />
Patiententestament geäußerten Willen weiterbehandelt<br />
wird, so entzieht das ursprünglich <strong>zu</strong>m Schutz der<br />
Selbstbestimmung gedachte Genehmigungserfordernis<br />
dem Patiententestament letztendlich jede eigenständige<br />
Bedeutung als Instrument der Selbstbestimmung. 205 Eine<br />
generelle Genehmigungspflicht wird man daher ablehnen<br />
müssen. Es ist vielmehr <strong>zu</strong> differenzieren:<br />
Sind sich der Betreuer und der behandelnde Arzt über<br />
Inhalt und Bindungswirkung einer Patientenverfügung<br />
einig, so ist ein Genehmigungserfordernis ab<strong>zu</strong>lehnen.<br />
Es ist davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass das Erfordernis der Einstimmigkeit<br />
schon eine gegenseitige Kontrolle gewährleistet<br />
und damit auch das Risiko eines Missbrauchs der<br />
Vertretungsmacht <strong>zu</strong> minimieren vermag. Zudem wird<br />
der Wille des Patienten <strong>zu</strong>mindest nicht zweifelhaft sein,<br />
ansonsten bestünde kein Konsens. Es ist daher nicht ge-<br />
197 Hahne, FamRZ 2003, 1619 (1621 f.); Lipp, FamRZ 2004, 317<br />
(323); Roth, JZ 2004, 494 (502); Coeppicus, Rpfleger 2004, 262<br />
(264).<br />
198 Lipp, FamRZ 2004, 317 (323); Roth, JZ 2004, 494 (502).<br />
199 Vgl. BGH NJW 2003, 1588 (1593).<br />
200 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 82; Erman – Roth, § 1904<br />
Rn. 25.<br />
201 Lipp, Patientenautonomie, S. 42.<br />
202 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 82 f.<br />
203 Vgl. oben, B. VI. 5.<br />
204 BGH NJW 2003, 1588 (1593); LG Duisburg, NJW 1999, 2744<br />
(2745); Palandt – Diederichsen, § 1904, Rn. 6.<br />
205 Lipp, FamRZ 2003, 756 (756); Schlüter, BGB-Familienrecht,<br />
Rn. 459.