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Zusatzmaterial zu AL 2007, 124 Menges - Ad Legendum

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18 <strong>Ad</strong> <strong>Legendum</strong> <strong>Zusatzmaterial</strong> <strong>zu</strong> <strong>AL</strong> <strong>2007</strong>, <strong>124</strong><br />

boten, trotz Einigkeit ein gerichtliches Verfahren ab<strong>zu</strong>warten.<br />

Liegt aber eine Konfliktsituation vor, sind Arzt und<br />

Betreuer also unterschiedlicher Auffassung über den<br />

Willen des Patienten, wird eine Entscheidung des VormG<br />

erforderlich. In einem solchen Fall ist der Wille des<br />

Betroffenen zweifelhaft. Um der Gefahr einer Fremdbestimmung<br />

oder gar eines Missbrauchs der Vertretungsmacht<br />

entgegen <strong>zu</strong> wirken, ist es geboten, den Willen des<br />

Patienten in einem gerichtlichen Verfahren möglichst<br />

eindeutig ermitteln.<br />

Eine bis <strong>zu</strong>r Entscheidung durchgeführte Weiterbehandlung<br />

des Patienten stößt auf keine verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken. Es dient gerade der Feststellung<br />

des Patientenwillens und damit der Sicherstellung seines<br />

Selbstbestimmungsrechts. 206<br />

Fest<strong>zu</strong>halten ist, dass ein vormundschaftsgerichtliches<br />

Genehmigungsverfahren nur in den Fällen durchgeführt<br />

werden darf, in denen der behandelnde Arzt und der Betreuer<br />

unterschiedlicher Auffassung über die Beachtlichkeit<br />

einer Patientenverfügung sind.<br />

8. Bindung des Arztes bzw. des Pflegepersonals<br />

Ist es aus zeitlichen Gründen nicht möglich, für die<br />

Entscheidung, ob lebensverlängernde Maßnahmen eingeleitet<br />

werden sollen, die Bestellung eines Betreuers<br />

ab<strong>zu</strong>warten, muss der behandelnde Arzt über die Vornahme<br />

entscheiden. 207 Ist ihm bekannt, dass der Patient<br />

eine Patientenverfügung errichtet hat, etwa weil dieser<br />

sie bei sich trug, ist der Arzt an die daran geäußerten Anweisungen<br />

gebunden. 208<br />

Hat er Zweifel an der Eindeutigkeit einer Patientenverfügung,<br />

wird der Arzt die Bestellung eines Betreuers<br />

beim VormG beantragen müssen. Bis <strong>zu</strong>r Entscheidung<br />

des Betreuers wird eine Behandlung des Patienten gerechtfertigt<br />

sein.<br />

Fraglich ist ferner, ob das den Patienten betreuende Pflegepersonal<br />

einen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen<br />

gestützt auf eigene Grundrechte verweigern darf<br />

mit der Folge, dass der Betroffene entgegen seinem ausdrücklich<br />

geäußerten Willen behandelt wird. 209<br />

Das OLG München hat in dem so genannten „Traunsteiner<br />

Fall“ 210 das Grundrecht des Pflegepersonals auf<br />

Gewissensfreiheit, Art. 4 I, 2 Var. GG, als entgegenstehend<br />

angesehen. 211 Die Pflegekräfte hatten sich entgegen<br />

dem durch den Betreuer umgesetzten Abbruchwillen<br />

des Betroffenen, der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung<br />

und einer entsprechenden Abbruchanweisung<br />

des Arztes geweigert, die angelegte PEG-Sonde <strong>zu</strong><br />

beseitigen.<br />

Der Argumentation des OLG München ist <strong>zu</strong>m einen<br />

entgegen <strong>zu</strong> halten, dass die Gewissensfreiheit grundsätzlich<br />

keinen Eingriff in die Grundrechte eines anderen<br />

<strong>zu</strong> legitimieren vermag. 212<br />

Zum anderen dürfte die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals<br />

keinesfalls höher bewertet werden als das Grundrecht<br />

des Patienten auf Selbstbestimmung.<br />

Ferner wäre die praktische Durchsetzbarkeit des Patientenwillens<br />

trotz eindeutigen Patiententestaments, entsprechender<br />

Betreuerentscheidung und etwaiger Genehmigung<br />

durch das VormG im Einzelfall unmöglich. Ein<br />

Patiententestament wäre praktisch wertlos. 213<br />

Auch wird man dem Pflegepersonal erst recht <strong>zu</strong>muten<br />

können, einem vom Patientenwillen getragenen Behandlungsabbruch<br />

<strong>zu</strong> entsprechen, wenn man dies schon<br />

beim Betreuer tut, der dem Betroffenen oftmals nahe<br />

steht und daher regelmäßig emotional stärker gebunden<br />

ist als ein Pfleger.<br />

Abschließend sei noch angemerkt, dass bei der Weiterbehandlung<br />

des Patienten für das Pflegeheim auch finanzielle<br />

Interessen eine Rolle spielen und diese daher unter<br />

dem Deckmantel der Gewissensfreiheit vorgetragen<br />

werden könnten.<br />

Aus diesen Gründen kann dem OLG München nicht<br />

gefolgt werden. Die Kräfte eines Pflegeheims müssen<br />

vielmehr ebenso durch den im Patiententestament geäußerten<br />

Willen des Betroffenen gebunden sein wie die<br />

übrigen Beteiligten.<br />

C. Das Patiententestament de lege ferenda<br />

I. Bedürfnis einer gesetzlichen Regelung des Patiententestaments<br />

Vielfach wurde im Schrifttum der Ruf nach einem Einschreiten<br />

des Gesetzgebers auf dem Gebiet der Patientenverfügungen<br />

laut. 214 Verunsicherung herrscht angesichts<br />

der Anzahl stark divergierender Auffassungen in<br />

diesem sensiblen Bereich nicht nur beim Bürger, sondern<br />

ebenso bei der Ärzteschaft und sogar bei den Vormundschaftsgerichten.<br />

215 Neben der mangelnden Rechtsklarheit<br />

stößt der 12. Zivilsenat des BGH mit seinem<br />

Beschluss vom 17.03.2003 aber auch auf verfassungsrechtliche<br />

Bedenken. So schränkt er das grundrechtlich<br />

geschützte Selbstbestimmungsrecht des Bürgers ein, indem<br />

er für die Anwendbarkeit einer Patientenverfügung<br />

das Vorliegen eines irreversiblen tödlichen Verlaufs verlangt.<br />

Zudem wird im Zuge richterlicher Rechtsfortbildung<br />

das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen<br />

Genehmigung, das zwangsläufig eine Verzögerung der<br />

Verwirklichung des Patientenwillens mit sich bringt,<br />

206 Hufen, ZRP 2003, 248 (251 f.); Lipp, FamRZ 2004, 317 (323).<br />

207 Lipp, FamRZ 2004, 317 (321); Taupitz, Gutachten 63. DJT,<br />

A 120.<br />

208 Vgl. oben B. VI. 5.<br />

209 Über einen solchen Fall hatte das OLG München <strong>zu</strong> entscheiden,<br />

FamRZ 2003, 557.<br />

210 OLG München NJW 2003, 1743 (1743).<br />

211 OLG München, NJW 2003, 1743 (1743).<br />

212 Hufen, ZRP 2003, 248 (252); im Ergebnis auch OVG Koblenz<br />

DVBl 1997, 1191 (1191 f.); BVerwG, NJW 2000, 88 (88).<br />

213 Uhlenbruck, NJW 2003, 1710 (1711).<br />

214 Erman – Roth, § 1904 Rn. 23; Hufen, ZRP 2003, 248 (252);<br />

Lipp, Patientenautonomie, S. 55; Schlüter, BGB-Familienrecht,<br />

Rn. 459.<br />

215 Simon/Lipp/Tietze/Nickel/van Oorschot, MedR 2004, 303<br />

(306).

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