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Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene

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kombinieren und sich damit in der Konkurrenz der Nationen durchzusetzen: <strong>eine</strong>m ,Wettkampf<br />

der Systeme’, der fortan nicht mehr bloß um den schlagkräftigsten Reichtum und die<br />

imponierendste Macht geführt werden sollte, sondern um die wahrhaft demokratische<br />

Zustimmung der Völker zu ihrem Staat. Die unausbleibliche Unzufriedenheit der eigenen<br />

Massen fand damit freilich auch nur noch <strong>eine</strong>n einzigen Adressaten, nämlich in den<br />

Funktionären der alternativlos herrschenden ,Partei des Proletariats’ bzw. der von dieser<br />

geschmiedeten ,<strong>Volk</strong>sfront’, was für die gewünschte Zustimmung zur großen ,sozialistischen<br />

Sache’ nicht gerade von Vorteil war; dass das nach dem Parteiprogramm fällige, in der Realität<br />

aber fehlende zufriedene bis begeisterte Einverständnis des <strong>Volk</strong>es organisiert wurde, machte<br />

die Angelegenheit nicht besser. − Immerhin, auch so lässt sich Staat machen und ein <strong>Volk</strong><br />

regieren. Die wirkliche Konkurrenz mit den kapitalistischen Imperien und nach deren<br />

Maßstäben haben die alternativen <strong>Volk</strong>s-Demokratien allerdings nicht gewonnen und sich<br />

schließlich geschlagen gegeben.<br />

<strong>Das</strong>s „ein geeintes <strong>Volk</strong> niemals besiegt“ wird − auch da ist das „wahre“, nämlich ehrlich<br />

und selbstlos schuftende „einfache“ <strong>Volk</strong> der Arbeiter und Bauern gemeint −, klingt auch auf<br />

spanisch und portugiesisch sehr gut; und der Glaube daran hat über einige Jahrzehnte vor allem<br />

Südamerikas Linke zum phasenweise militanten Aufbegehren gegen brutale Militärdiktaturen<br />

animiert. Die hatten allerdings die stärkeren Waffen und die nordamerikanische Weltmacht auf<br />

ihrer Seite − resp. zum Auftraggeber −; deshalb sind die Sozialrevolutionäre unter ihrer<br />

hoffnungsfrohen Losung ein ums andere Mal in Niederlagen hineinmarschiert. <strong>Das</strong> entschuldigt<br />

jedoch nicht den politischen Fehler, der in der Parole von der unbesiegbaren <strong>Volk</strong>seinheit s<strong>eine</strong><br />

manches Herz erwärmende Kurzfassung gefunden hat. Der Glaube daran setzt sich in<br />

wohlm<strong>eine</strong>ndem Idealismus über die Tatsache hinweg, dass das <strong>Volk</strong> auch in südamerikanischen<br />

Diktaturen aus gesellschaftlichen Gruppen mit sehr unterschiedlichen bis gegensätzlichen<br />

Interessen zusammengesetzt ist, die den staatlichen Zwang zu produktivem Zusammenwirken<br />

k<strong>eine</strong>swegs allesamt und schon gar nicht alle im gleichen Sinn als Unterdrückung erfahren. <strong>Das</strong><br />

„einfache“ <strong>Volk</strong>, dessen Einheit die Linke beschwört, ist zudem erst einmal − notgedrungen −<br />

vor allem damit befasst, mit Anpassungsleistungen über die Runden zu kommen, hat sich überdies<br />

daran gewöhnt, sein unausbleibliches Scheitern zu ertragen und wegzustecken; von dieser<br />

schlechten Gewohnheit muss es zuerst abgebracht, s<strong>eine</strong>m Gemeinwesen, in dem es so treu als<br />

<strong>Volk</strong> zusammenlebt, abspenstig gemacht und für ein wirklich lohnendes, wirklich<br />

gemeinsames Ziel agitiert werden, wenn s<strong>eine</strong> „unbesiegbare“ Einheit mehr sein soll als die<br />

pure <strong>Abstraktion</strong> von allen sozialen und politischen Differenzen, also auch von all den<br />

besonderen materiellen Bedürfnissen und politischen Interessen, die die Leute im besten Fall<br />

wirklich zum Widerstand bewegen. Eine so abstrakte Einigkeit lässt ja lauter Unvereinbares<br />

fortbestehen, ist deswegen allenfalls so lange haltbar, wie das bekämpfte Regime selber<br />

undifferenziert gegen Opposition aller Art vorgeht. Und im Erfolgsfall − tatsächlich sind die<br />

Militärdiktatoren mittlerweile abgetreten, freilich aus ganz anderen Gründen und unter ganz<br />

anderen Vorzeichen als infolge <strong>eine</strong>r revolutionären Emanzipation der unterdrückten Massen −<br />

geht sie äußerst folgerichtig in die <strong>Volk</strong>seinheit über, die <strong>eine</strong> erneuerte Staatsgewalt stiftet,<br />

indem sie alle Klassen und Fraktionen ihrer Gesellschaft für die von ihr neu definierten<br />

nationalen Belange in die Pflicht nimmt.

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