04.08.2013 Aufrufe

Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene

Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene

Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

- 17 -<br />

Nach und nach haben sich alle konkurrierenden Interessengruppen, die im bürgerlichen<br />

Gemeinwesen <strong>eine</strong> wichtige Rolle spielen, als Parteien organisiert und ihren Anteil an<br />

der Gestaltung des Gemeinwohls durch die Staatsgewalt erstritten. In dem Maße, wie<br />

ihnen das gelungen ist, haben nicht zuletzt die Aktivisten dieses politischen Pluralismus<br />

selber die Forderung aufgebracht, alle Fraktionen des <strong>Volk</strong>es müssten sich<br />

untereinander über alles Trennende hinweg in ihrem gemeinsamen Staatswillen<br />

unbedingt einig werden. Die Parteienvielfalt hat sich durch umso mehr gewusste und<br />

gewollte Einigkeit der passiv wie aktiv Wahlberechtigten zu rechtfertigen − steht also<br />

unter Verdacht, dieses kostbare Gut zu gefährden; der Dialektik ihres Herrschaftssystems:<br />

der politischen Anerkennung divergierender Interessen und unzufriedener Meinungen als<br />

Methode ihrer politischen Befriedung und Einbindung, trauen Demokraten auch heute<br />

nicht hundertprozentig. <strong>Das</strong> entsprechende Misstrauen richtet sich seit jeher vor allem<br />

gegen linke Parteien, die sich programmatisch für die besonderen, partikularen<br />

Bedürfnisse <strong>eine</strong>r Klasse einsetzen, die eindeutig das schlechteste Los in der<br />

<strong>Volk</strong>sgemeinschaft gezogen hat, also alle Gründe zur Ablehnung der herrschenden<br />

Ordnung hätte und anfangs ja auch ziemlich starke Tendenzen in dieser Richtung gezeigt<br />

hat. <strong>Das</strong>s die Sozialdemokratie mit ihrem Einsatz für politische Gleichberechtigung und<br />

soziale Betreuung der ,Unterprivilegierten’ <strong>eine</strong>n entscheidenden Beitrag zur Einbindung<br />

dieser Leute in die ,<strong>Volk</strong>sgemeinschaft’, in der sie den Platz der Unterschicht besetzen<br />

dürfen, und zum Erfolg des demokratisch verfassten Klassenstaats leistet, stand noch nicht<br />

einmal für alle Sozialdemokraten gleich außer Zweifel; für ihre politischen Gegner war<br />

sofort klar, dass ihre Politik dazu angetan oder sogar darauf angelegt wäre, brav und<br />

genügsam arbeitendes <strong>Volk</strong> s<strong>eine</strong>r Bestimmung zu entfremden, es mit der Erzeugung<br />

<strong>eine</strong>s − „künstlichen!“ − Klassenbewusstseins in <strong>eine</strong>n Gegensatz zum Gemeinwesen und<br />

dessen besseren Ständen hineinzumanövrieren, ,Sozialneid’ zu wecken − der Vorwurf<br />

trifft bekanntlich noch heute jeden, dem es nicht auf Anhieb gefällt, dass die Reichen<br />

immer reicher und Arme immer ärmer werden − und so die nationale Gemeinschaft zu<br />

zersetzen.<br />

Den Verdacht, es würden, statt die Reihen des <strong>Volk</strong>es hinter s<strong>eine</strong>r Führung zu<br />

schließen, lauter Sonderinteressen gefördert, Entzweiung zugelassen, ,Politikverdrossenheit’<br />

produziert und andere dem nationalen Gemeinsinn abträgliche Haltungen freigesetzt,<br />

pflegen patriotische Gemüter und kritische Anwälte <strong>eine</strong>r durchsetzungsfähigen<br />

Staatsgewalt auf die Demokratie insgesamt − auf die Lizenz, Interessen politisch zu<br />

organisieren, und auf die Institution freier Wahlen − auszudehnen, sobald sie <strong>eine</strong>n Anlass<br />

zu ernsterer Sorge finden. Wenn <strong>eine</strong> gewählte Regierung nach der anderen ihnen zu<br />

schwach vorkommt, die Opposition zu frech, die Nation zu erfolglos, das <strong>Volk</strong> zu<br />

zerstritten, dann erteilen sie nicht bloß den gerade amtierenden Amtsträgern <strong>eine</strong> Absage,<br />

sondern erklären ihr Misstrauen gegen das ganze System: Staatsführer, die um die Gunst<br />

<strong>eine</strong>r Mehrheit des egalitär wahlberechtigten <strong>Volk</strong>es „buhlen“ müssen, nähmen viel zu<br />

viel Rücksicht auf einzelne Gruppen und vor allem auf die problematischen Bedürfnisse<br />

der Massen; Parteimenschen wären im Grunde überhaupt nicht geeignet, das <strong>Volk</strong> zu<br />

<strong>eine</strong>n und zu neuen nationalen Erfolgen zu führen.5) Wenn es ganz schlimm kommt, ist<br />

5) Demokratische <strong>Volk</strong>serzieher fragen sich in so zugespitzter Lage dann besorgt, ob womöglich nur bei politischem<br />

,Schönwetter’, also bloß so lange demokratisch funktioniert, wie ihm härtere Bewährungsproben erspart bleiben, in<br />

Krisenzeiten jedoch die harte Hand <strong>eine</strong>s Diktators spüren möchte. Demokratische Politiker konkurrieren derweil um das<br />

Mandat für den praktischen Beweis, dass sie ein solches <strong>Volk</strong>sbedürfnis gut verstehen können, vorauseilend zu bedienen<br />

vermögen und <strong>eine</strong> von ihnen gemanagte ,wehrhafte’ „Allwetter“-Demokratie locker hinkriegt, was ihre misstrauischen<br />

Kritiker nur <strong>eine</strong>r über alle demokratischen Prozeduren erhabenen Führerfigur zutrauen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!