Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene
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Bezüglich der „Montags-Demos“ gegen die Sozialreformen der Schröder-Regierung sind da<br />
starke Zweifel angebracht. Zum <strong>eine</strong>n schon deswegen, weil sie mit dem absichtsvoll<br />
gewählten Wochentag die Erinnerung an jenen Aufruhr wecken wollen, der nach allgemein<br />
akzeptierter Lesart drastische praktische Folgen hatte, nämlich <strong>eine</strong> Regierung entmachtet und am<br />
Ende <strong>eine</strong>n ganzen Staat beseitigt hat − was damals, gegen das ,Unrechtsregime’ der SED, nur<br />
gerecht war, heute aber, unter freiheitlichen Verhältnissen, absolut unzulässig wäre und strikt<br />
unterbunden werden müsste. Gleiches gilt zum andern für die wiederbelebte Losung des<br />
Protests: Eine Minderheit, die sich als „das <strong>Volk</strong>“ zu Wort meldet, begeht in der Demokratie<br />
fast schon <strong>eine</strong> Amtsanmaßung und auf alle Fälle <strong>eine</strong> Grenzüberschreitung, wenn sie damit<br />
praktisch Einfluss nehmen und die Regierenden zum Nachgeben nötigen will. Denn in <strong>eine</strong>r<br />
demokratischen Verfassung ist die Einflussnahme des nominellen Souveräns auf das souveräne<br />
Regierungshandeln genau kodifiziert und festgelegt − das ist ja gerade die in dieser<br />
Herrschaftsform institutionalisierte Freiheitsgarantie −: Einflussnahme von unten findet am<br />
Wahltag statt und ist mit der Ermächtigung <strong>eine</strong>r Regierungsmannschaft abgeschlossen. Sich<br />
außerhalb dieser Veranstaltung <strong>eine</strong>r gewählten Regierung als <strong>Volk</strong>, also wie der souveräne<br />
Auftraggeber aufzudrängen, ist ein Verstoß gegen die wahren demokratischen Freiheitsrechte<br />
des <strong>Volk</strong>es.<br />
Immerhin ist der Protest höflich und folgenlos genug, um von amtlicher Seite unter der Rubrik<br />
„zulässige Meinungsäußerung“ abgelegt zu werden; ärgerliche Konsequenzen zeitigt er bloß<br />
für ein paar Wahlkämpfe von geringerer Bedeutung. Die kritische Öffentlichkeit jedoch, der<br />
bissige Wachhund der Demokratie, ist nicht so schnell damit fertig. Sie kann sich gar nicht genug<br />
darüber empören, dass die Symbole des Kampfes, den die DDR-Opposition für die Freiheit<br />
geführt hat, nun in den Schmutz <strong>eine</strong>s Kampfes um Geld gezogen werden. Sie schmettert den<br />
Unzufriedenen ein herzhaftes „So nicht!“ entgegen und erteilt ausgiebig Nachhilfeunterricht in<br />
der Frage, wie viel und welchen Protest <strong>eine</strong> Demokratie verträgt und wo das Recht endet,<br />
öffentlich unzufrieden zu sein. Und weil zum Trauerspiel bekanntlich die Farce gehört, meldet<br />
sich auch noch die Geschäfts- und Geisteselite der Nation mit <strong>eine</strong>r Zeitungsannonce zu Wort,<br />
in der sie ihre Unzufriedenheit mit der Unzufriedenheit der Zonis und deren unzulässiger<br />
Wortwahl bekannt gibt: Prominente, die sich <strong>eine</strong>n Effekt ausrechnen, weil sie alles andere als<br />
bloßes <strong>Volk</strong> sind und mit dem ,gewöhnlichen’ schon gleich nicht verwechselt werden wollen<br />
und können, verkünden ihr Einverständnis mit der Schröder'schen Reformpolitik unter der fetten<br />
Überschrift „Auch wir sind das <strong>Volk</strong>!“ Von ganz oben herab bestreiten sie den Anti-Hartz-<br />
Demonstranten deren fragwürdigen letzten Ehrentitel − und leisten ganz nebenher noch <strong>eine</strong>n<br />
kl<strong>eine</strong>n Beitrag zur demokratischen <strong>Volk</strong>skunde: Eine aktionsfähige Einheit kann ein <strong>Volk</strong><br />
von sich aus schon deswegen nicht sein, weil es mit s<strong>eine</strong>r so ungleich verteilten<br />
Unzufriedenheit ohnehin nie auf <strong>eine</strong>n Nenner kommt − außer auf den, auf den die zuständige<br />
Herrschaft es herunterbricht.<br />
(f)<br />
So eng Demokratie und Marktwirtschaft zusammengehören: Ein anständiges <strong>Volk</strong> funktioniert<br />
natürlich auch ohne Demokratie marktwirtschaftlich, als kapitalistische Geldschöpfungsmaschine<br />
im Interesse s<strong>eine</strong>s Staates. So war es schon im christlichen Abendland und in der Neuen Welt,<br />
wo die moderne Klassengesellschaft am Ende in der Demokratie ihre adäquate Herrschaftsform<br />
gefunden hat. Um ihre Völker dem so eindeutig doppelsinnigen Imperativ gefügig zu machen,