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Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene

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sich gelassen. Sie konstruieren Angebote für längst politisierte Interessen. Dabei gehen sie<br />

von der marktwirtschaftlichen und imperialistischen Bedarfslage ihres Gemeinwesens aus,<br />

buchstabieren von da her jeder Unterabteilung ihres kapitalistisch durchsortierten<br />

<strong>Volk</strong>es ihre Funktion und ihren Stellenwert im Ganzen vor, loben die Kapitalisten für<br />

die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Masse der Lohnabhängigen für ihre verständnisvolle<br />

Anpassungsbereitschaft, überhaupt <strong>eine</strong>n jeden für den Dienst, den das<br />

Gemeinwesen von ihm verlangt, und empfehlen sich als über allen Partikularinteressen stehende<br />

Führungsmannschaft, die alle und alles erfolgreich zusammenwirken lässt. Dabei achten<br />

sie auf parteieigene „Alleinstellungs-merkmale“, die ihnen <strong>eine</strong>rseits <strong>eine</strong> eingeschworene<br />

Stammwählerschaft, andererseits <strong>eine</strong> Mehrheit bei den nicht festgelegten<br />

,Wechselwählern’ sichern sollen. In diesem Sinne pflegen sie ihre besondere politische<br />

Kultur, zusammengesetzt aus <strong>eine</strong>m ideologischen Wertehimmel und <strong>eine</strong>m gepflegten<br />

parteiinternen Umgangston, <strong>eine</strong>m besonderen Stil des werbewirksamen Auftretens<br />

und <strong>eine</strong>m Vorrat an Traditionen, Symbolen, erinnerungswürdigen Repräsentanten und<br />

Vorbildern; in dem Zusammenhang kommen sie berechnend auf die Sonderinteressen und<br />

partikularen Standpunkte zurück, als deren Vorkämpfer sie ursprünglich einmal angetreten<br />

sind. Damit und mit ihren entsprechend durchgestylten Führungsfiguren sorgen moderne<br />

<strong>Volk</strong>sparteien für das Maß an politischer Alternative, das − unter geordneten Verhältnissen − nötig<br />

ist, um das demokratische <strong>Volk</strong> für die Konkurrenz der Macht-Aspiranten zu interessieren und<br />

all die Unzufriedenheit zu absorbieren, die der Fortschritt des kapitalistischen<br />

Gemeinwesens auch unter noch so anpassungswilligen Staatsbürgern unweigerlich<br />

immer wieder erzeugt. Denn denen werden im Zuge des universellen Konkurrenzkampfes<br />

der kapitalistischen Firmen und der Staaten beständig neue Bedingungen fürs<br />

Arbeiten, Geldverdienen und Geldausgeben gesetzt − meist schlechtere; immer neue<br />

Dienste werden ihnen abverlangt − in der Regel härtere, in zunehmendem Maße aber<br />

auch gar k<strong>eine</strong> mehr, was für die Betroffenen den Absturz in <strong>eine</strong><br />

Verelendungskarriere bedeutet. Die paar Lebenskünste, mit denen das Fußvolk trotz<br />

allem durchs Leben und auf s<strong>eine</strong> Kosten zu kommen versucht, werden regelmäßig<br />

durchkreuzt, der Wille, trotzdem mitzumachen, wird einigermaßen strapaziert. Den<br />

immer wieder „aufgestauten“ <strong>Volk</strong>szorn holen die <strong>Volk</strong>sparteien ab, funktionalisieren ihn<br />

für ihren erbitterten Konkurrenzkampf um die Macht, sorgen also dafür, dass er sich am<br />

Führungspersonal der jeweils anderen Parteien abreagiert; so hilft er planmäßig neuen<br />

Machthabern oder den alten neu ins Amt.<br />

(e)<br />

Die Überzeugungsarbeit, die ausgereifte demokratische Parteien dafür leisten, ist ein<br />

eigenes Kapitel dialektischer <strong>Volk</strong>sbildung, zusammengesetzt aus berechnender<br />

Verehrung und offener Verachtung der „niederen“ <strong>Volk</strong>smassen.<br />

Bedingungslos geachtet werden „die Menschen draußen im Lande“ von ihren<br />

demokratischen Politikern als Träger <strong>eine</strong>s Staatswillens, soweit den die jeweilige<br />

Partei als Wahlstimme für sich verbuchen kann. Problematisch wird die Wertschätzung<br />

der wahlberechtigten Bürgerschaft bereits, wenn deren politische Sympathien sich<br />

mehrheitlich dem politischen Gegner zuwenden; nach der festen Überzeugung<br />

regierungswilliger Demokraten hat das <strong>Volk</strong> dann nicht einfach von s<strong>eine</strong>r Wahlfreiheit<br />

Gebrauch gemacht, sondern <strong>eine</strong>n Fehler begangen. Der wiegt dann richtig schwer, die Zeit

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