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Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene

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- 33 -<br />

Es gab Zeiten, in denen die Bevölkerung <strong>eine</strong>s Landes Angehörige anderer Völker kaum je zu<br />

Gesicht bekam, vielleicht noch nicht einmal von der Existenz von Völkerschaften jenseits der<br />

engsten Nachbarschaft viel Ahnung hatte und mit den Untertanen auswärtiger Herrschaften nur<br />

dann in näheren Kontakt geriet, wenn sie von denen in kriegerischer Absicht Besuch bekam<br />

oder von der eigenen Obrigkeit zu <strong>eine</strong>m Überfall der weiträumigeren Art ausgeschickt wurde:<br />

Die Völker waren einander fremd, und mit der Fremdheit waren Gefahr und Feindschaft<br />

verbunden. Wie auch immer: Die Zeiten sind vorbei. Grenzen sind durchlässig; nicht nur für<br />

Waren, Geld und Kapital, sondern – bedingt und gut kontrolliert – auch für Menschen;<br />

auswärtige Arbeitskräfte werden bisweilen sogar von Amts wegen angeworben und treiben<br />

sich nicht nur an ihren Arbeitsplätzen, sondern in aller Öffentlichkeit herum. Die Völker<br />

wissen voneinander; man kennt Menschen anderer Nationalität, begegnet ihnen im ganz<br />

normalen Alltag. Die Bewohner der weltpolitisch wichtigen Nationen werden über das<br />

Geschehen auf dem gesamten Globus, notfalls „in Echtzeit“, informiert; viele fahren zum<br />

Vergnügen in fernes Ausland und kehren mit Videos zurück. Umgekehrt wissen die<br />

Eingeborenen der weniger bedeutenden Weltgegenden, in welchen fernen Regionen Macht und<br />

Reichtum zu Hause sind; nicht wenige versuchen alles, um in Länder mit <strong>eine</strong>m besser als<br />

daheim funktionierenden Wirtschaftsleben zu gelangen, und treten dort, wenn sie ankommen und<br />

man sie lässt, als unterste Abteilung des Proletariats in Erscheinung. Und so weiter: Von<br />

Fremdheit in dem Sinn kann kaum mehr die Rede sein; auch nicht davon, dass die Erfahrungen<br />

mit Auswärtigen hauptsächlich kriegerischer Art wären. Ganz nüchtern betrachtet kennt der<br />

Inländer „die Ausländer“ als S<strong>eine</strong>sgleichen: ums Zurechtkommen im marktwirtschaftlichen<br />

Lebenskampf bemüht; von Geld- und anderen wohlbekannten privaten Sorgen geplagt; dabei<br />

ähnlich unterschiedlich situiert, wie man es von den verschiedenen Milieus im heimischen<br />

Kulturkreis kennt. Wenn es darauf ankommt, gelingt mit Infinitiv und englischen<br />

Sprachbrocken sogar <strong>eine</strong> Verständigung über das Nötigste.<br />

Der Standpunkt, dass es sich bei den Bürgern anderer Länder grundsätzlich um Fremde<br />

handelt, ist damit freilich überhaupt nicht ausgestorben. Von Staats wegen sowieso nicht: Ein<br />

spezielles Ausländerrecht verfügt die grundsätzliche Aus- und bedingte Eingrenzung von<br />

Menschen mit fremdem − oder gar ohne − Pass, und spezielle Behörden passen auf solche Leute<br />

auf, die zum Besitzstand <strong>eine</strong>r fremden Macht gehören. Im <strong>Volk</strong> hat dieser Standpunkt sich<br />

genauso wenig relativiert, vielmehr auf s<strong>eine</strong>n elementaren Inhalt zusammengezogen und<br />

zugespitzt: In „den Ausländern“, ob er sie in s<strong>eine</strong>r Umgebung als solche identifiziert oder<br />

auch nur von ihnen weiß und <strong>eine</strong>n Gedanken auf sie verschwendet, nimmt der moderne<br />

Inländer komplementär zu sich selber das andere „Wir“ wahr; <strong>eine</strong>n Menschenschlag, der sich<br />

vom eigenen im Grunde nur darin, darin aber ganz wesentlich unterscheidet, dass er mit s<strong>eine</strong>n<br />

Rechten und Pflichten, s<strong>eine</strong>r gewohnheitsmäßigen Anspruchshaltung und grundsätzlichen<br />

Parteilichkeit außerhalb des Gemeinwesens steht, dem der Einheimische sich zugehörig,<br />

außerhalb des Gemeinwohls, dem er sich verpflichtet weiß. Fremd sind die „Fremden“ nicht,<br />

weil sie Fremdartiges treiben − da dürften verschiedene <strong>Volk</strong>sgenossen einander erheblich<br />

stärker befremden −, sondern weil sie dasselbe wie man selber in prinzipieller Parteilichkeit für<br />

ein anderes Land tun, in anerkennender Orientierung an Ordnungsmaximen, die − gar nicht<br />

viel anders als die eigenen das eigene, aber eben: − ein anderes nationales Zusammenleben<br />

regulieren und die Menschen als Basis für <strong>eine</strong> andere politische Körperschaft vereinnahmen.<br />

Unter dieses andere „Wir“ mit s<strong>eine</strong>m eigenen interessierten Verhältnis zur Welt wird der<br />

Ausländer, ob er will oder nicht, subsumiert; nicht bloß das <strong>eine</strong> oder andere eventuell

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