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Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene

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Erinnerung an die Verfallsgeschichte <strong>eine</strong>r seltsamen Protestparole:<br />

„Wir sind das <strong>Volk</strong>!“<br />

In der Endphase der DDR gehen unzufriedene Bürger dieses Staates protestierend auf die<br />

Straße; mit ihren immer größeren Demonstrationen führen sie, der offiziellen deutschen<br />

,Wiedervereinigungs’-Historie zufolge, das Ende ihrer Republik herbei. Interessanterweise<br />

enthält die berühmt gewordene Losung, unter der sie sich in zunehmender Menge<br />

zusammenfinden, gar k<strong>eine</strong> umstürzlerische Zielsetzung, noch nicht einmal <strong>eine</strong> Forderung − sie<br />

lautet schlicht: „Wir sind das <strong>Volk</strong>!“ Schon das reicht, um <strong>eine</strong> prinzipielle Absage an die<br />

bestehende Herrschaft deutlich zu machen − ein Zusammenhang, der sich nur über die<br />

besonders hohe Bedeutung erschließt, die die ,realsozialistische Staatspartei ihrem <strong>Volk</strong><br />

beimisst: Nicht bloß der formelle Souverän soll es sein, der s<strong>eine</strong>n politischen Beruf mit der<br />

Ermächtigung des wirklichen Souveräns in <strong>eine</strong>m freien Wahlakt erledigt, sondern als<br />

,werktätige’ Basis zugleich die Seele des Gemeinwesens, das leibhaftige einzige Staatsziel des<br />

,Arbeiter- und Bauern-Staats’; nicht bloß ideelle Berufungsinstanz der Regierenden, sondern<br />

wirklicher Nutznießer <strong>eine</strong>r gerechten Ordnung; einzig und allein durch die Erfüllung des<br />

<strong>Volk</strong>sbedürfnisses nach sozialer Gerechtigkeit, soll die Inbesitznahme des Staatsapparats durch<br />

die ,Partei des Proletariats’ und ihre Verbündeten gerechtfertigt sein. <strong>Das</strong>s die in so hohen<br />

Ehren gehaltene, fortwährend als legitimierender Staatszweck angerufene und zu expliziter<br />

Zustimmung angehaltene Basis sich überhaupt eigenmächtig zu Wort meldet und als die Größe in<br />

Erinnerung bringt, um deren Wohlfahrt sich doch alle Politik drehen soll, stellt bereits die<br />

bruchlose Einheit zwischen <strong>Volk</strong> und Führung in Frage, die die SED für sich in Anspruch nimmt;<br />

entlarvt das immer wieder abgerufene Einverständnis der Massen mit ihrer Republik als<br />

organisierten Schwindel. <strong>Das</strong> allein ist schon gleichbedeutend mit <strong>eine</strong>r Kündigung der<br />

Legitimation, die die Staatspartei für sich reklamiert, durch die legitimierende Instanz.<br />

<strong>Das</strong> ist <strong>eine</strong>rseits nicht eben viel. Abgesehen davon, dass auch das <strong>Volk</strong> der DDR bis zum<br />

Schluss noch ein wenig geteilter Meinung ist über Sinn und Zweck s<strong>eine</strong>s ,Arbeiter- und<br />

Bauern-Staates’: Auch die Demonstranten kündigen ihren Status als <strong>Volk</strong> im Sinne des<br />

,realsozialistischen’ Grundgesetzes, als Basis des Gemeinwesens und leibhaftige<br />

Rechtfertigung <strong>eine</strong>r herrschenden Gewalt, nicht. Im Gegenteil: Sie beharren auf ihrer<br />

Stellung als dienstbare ,werktätige’ Mannschaft, auf deren Wohlergehen Partei und<br />

Staatsmacht sich verpflichtet hätten. Ihr Slogan ist ein Ordnungsruf an die Obrigkeit; eingeklagt<br />

wird Herrschaft im Sinne der zugesagten Einigkeit zwischen <strong>Volk</strong> und Führung − gerade in<br />

s<strong>eine</strong>m Protest und s<strong>eine</strong>r Absage erweist sich das <strong>Volk</strong> der DDR als das politische Geschöpf<br />

s<strong>eine</strong>r ‚führenden Partei’. Eben deswegen trifft es damit aber auch den neuralgischen Punkt<br />

nicht bloß der Herrschaftsideologie, sondern der Staatsräson der SED. Mit der gesamten<br />

komplizierten Einrichtung ihres Staatswesens − <strong>eine</strong>r mit quasi geldwirtschaftlichen<br />

Kennziffern operierenden „Planwirtschaft“ und <strong>eine</strong>r Kultur der unerbittlichen Belehrung und<br />

moralischen Hebung der Massen, <strong>eine</strong>r überall eingemischten Partei und <strong>eine</strong>m für bürgerliche<br />

Begriffe luxuriös ausgebauten Sozialwesen usw. usw. − haben die regierenden ‚Kommunisten’ ja<br />

tatsächlich <strong>eine</strong> ,klassenlose’ Alternative zum Kapitalismus realisieren wollen und darauf<br />

bestanden, dass deren Erfolg sich in der ungebrochenen Zustimmung der ,Werktätigen’<br />

widerspiegeln müsse, die sie als Nutznießer des ganzen Unternehmens vorgesehen haben.

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