Das Volk: eine furchtbare Abstraktion (pdf) - Neoprene
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Genau dazu sagt ein <strong>Volk</strong> nicht ,Ja’ und nicht ,Nein’, sondern − „WIR!“ Es nimmt nicht<br />
Stellung, sondern identifiziert sich mit dem <strong>Das</strong>ein als Standortbesatzung im globalen<br />
Konkurrenzkampf der Staaten, das der eigene ihm auferlegt. Als <strong>Volk</strong> verzichten die<br />
Menschen darauf, ihre eigenen materiellen Bedürfnisse konsequent und kritisch zu klären,<br />
<strong>eine</strong> konkrete Verallgem<strong>eine</strong>rung ihrer Wünsche und Vermittlung ihrer Interessen<br />
herbeizuführen, <strong>eine</strong> Ordnung zu schaffen, in der ihre Lebensbedürfnisse ohne<br />
substanzielle Abstriche im allgemein Gültigen gut aufgehoben sind − das alles lassen<br />
sie sich von ihrer Herrschaft als ihre Lebenslage vorgeben, abstrahieren insoweit von<br />
sich und ihren Belangen. Und auch was die vom Staat vorgegebene wirkliche<br />
Zweckbestimmung ihres Zusammenwirkens betrifft, legen sie ein beträchtliches <strong>Abstraktion</strong>svermögen<br />
an den Tag. Vom Inhalt und von der Zielsetzung der Verhältnisse, die<br />
ihr Staat ihnen bereitet, von der politischen Räson, nach der ihr Alltag funktioniert und<br />
ständig reformiert wird, wollen sie nämlich auch nichts weiter wissen. Diesen<br />
„Realitäten“ begegnet ein <strong>Volk</strong> vielmehr mit dem festen idealistischen Vorurteil − das im<br />
Übrigen auch die offizielle Agitation mit der Parole „Globalisierung“ ausbeutet, wenn sie<br />
den Leuten die Machenschaften ihrer Regierung als wohlm<strong>eine</strong>nde Defensive gegen<br />
unabwendbare Unannehmlichkeiten und als Kampf um „beste Lösungen“ vorstellig<br />
macht −: <strong>Das</strong> alles wäre im Prinzip <strong>eine</strong> hilfreiche Ordnung, die ein gesellschaftliches<br />
Zusammenleben mit Arbeitsteilung und wechselseitiger Bedürfnisbefriedigung<br />
überhaupt erst ermögliche. Womit sie sich arrangieren müssen, weil ihre nationale<br />
Staatsmacht sich und ihre kapitalistische Reichtumsquelle voranbringen will, das<br />
machen moderne Weltbürger in ihrer Lebensführung wie ihrer Lebenseinstellung −<br />
insoweit nicht anders als alle anständigen Völker vor ihnen − zu ihrem Lebensprogramm:<br />
Weil „es“ anders nicht funktioniert, muss ihr <strong>Das</strong>ein so wie vorgegeben funktionieren und<br />
soll das dann auch zu ihrer Zufriedenheit tun. In den Existenzbedingungen, die ihnen <strong>eine</strong>n<br />
Lebensweg als Werkzeuge kapitalistischen Reichtums und staatlicher Macht − und als<br />
Alternative dazu nur das absolute Elend − vorzeichnen, suchen sie lauter Werkzeuge für<br />
sich, das Rüstzeug für ihren lebenslangen Kampf ums Glück. Ihr notwendiges Scheitern<br />
quittieren sie, was den staatlichen Urheber und Garanten ihrer Lebensbedingungen<br />
betrifft, mit <strong>eine</strong>r Unzufriedenheit, die stur daran festhält, von ihren wirklichen Gründen,<br />
der imperialistischen Zweckbestimmung des ganzen Ladens, abzusehen und<br />
gegen alle schlechten Erfahrungen den Standpunkt hochzuhalten, eigentlich müsste<br />
man unter den herrschenden Verhältnissen doch zu s<strong>eine</strong>m Lebenserfolg kommen<br />
können; denn eigentlich wären Staat und Wirtschaft, also − ausgerechnet − Macht und Geld<br />
doch dafür da, dem einzelnen die nötigen Mittel für <strong>eine</strong>n erfolgreichen „pursuit of<br />
happiness“ an die Hand zu geben − als bräuchte es, wenn es wirklich ums konkret<br />
allgem<strong>eine</strong> Wohlergehen ginge, die Privatmacht des Geldes und <strong>eine</strong> allgegenwärtige<br />
hoheitliche Gewalt. Dabei kann die jeweils amtierende Regierung im Urteil <strong>eine</strong>s<br />
unzufriedenen Publikums beliebig schlecht wegkommen: Treue Bürger kleiden ihre<br />
Beschwerden in die „Wir“-Form und bleiben unverwüstlich dabei, ihre Abhängigkeit von<br />
dem Konkurrenzkampf, den ihre Staatsmacht führt, positiv zu sehen und ihre privaten<br />
Erfolgschancen dort zu suchen, wo in Wahrheit die Nation für ihre Erfolge ihr Personal<br />
verschleißt.