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Akademiereport 2-06.pmd - Akademie für Politische Bildung Tutzing

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Politik und Religion:<br />

Handlungsorientierung: ja – Handlungsanweisung: nein<br />

Zum Verhältnis von religiösen Überzeugungen, sittlichen Werten<br />

und politischen Entscheidungen<br />

Seit der französischen Revolution,<br />

die mit der nachfolgenden<br />

Modernisierung und zunehmenden<br />

bürgerlichen Freiheiten, zugleich<br />

mit einem Schwinden der<br />

Bedeutung von Religion in Westeuropa<br />

zusammenfiel, gilt: Aus<br />

religiösen Botschaften lassen sich<br />

keine politischen Handlungsanweisungen<br />

ableiten. Aber bieten<br />

sich wenigstens Orientierungen<br />

<strong>für</strong> politische Entscheidungen<br />

an? Oder muss Politik in einer<br />

demokratischen, liberalen Ge-<br />

Sonderfall USA<br />

Religion war schon immer ein beherrschender<br />

Faktor der Politik. Davon ist<br />

Hans Joas, Fellow am Wissenschaftskolleg<br />

zu Berlin, überzeugt. Er hält die<br />

von vielen <strong>für</strong> so selbstverständlich<br />

geteilte Annahme, wirtschaftliche Modernisierung<br />

führe zwangsläufig zu<br />

einem Bedeutungsverlust der Religion,<br />

<strong>für</strong> nicht haltbar – auch wenn sie<br />

von vielen namhaften europäischen<br />

Sozialwissenschaftlern und Philosophen<br />

seit dem 19. Jahrhundert vertreten<br />

werde. Weder könne sie überzeugend<br />

hergeleitet noch empirisch begründet<br />

werden. Joas’ soziologischer<br />

Kritik der Säkularisierungsthese zufolge<br />

– zur Säkularisierungstheorie wollte<br />

er die Annahme nicht adeln – kann<br />

sie die europäischen Ausnahmen wie<br />

Polen, Irland, Kroatien oder auch Teile<br />

Altbayerns nicht überzeugend erklären,<br />

und die „große Ausnahme“ USA<br />

überhaupt nicht. Niemand bestreite die<br />

Modernität der Vereinigten Staaten<br />

und deren gleichzeitige hohe Religiosität.<br />

Mit einer Vermischung religiöser<br />

und nationaler Identitäten könne<br />

dieser „Sonderfall“ empirisch nicht<br />

begründet werden. Die USA lehrten<br />

vor allem eines: Glaube sei keineswegs<br />

ein Ausdruck von Armut, Rückständigkeit<br />

oder Unterdrückung, wie es die<br />

Säkularisierungsannahme behauptet.<br />

26<br />

sellschaft auf Glaubensüberzeugungen<br />

verzichten, um allen Bürgern,<br />

Gläubigen wie Nicht-Gläubigen,<br />

die Akzeptanz des Ausgehandelten<br />

zu ermöglichen? Müssen<br />

nicht auch moralische Diskurse<br />

auf den Rückgriff auf religiös<br />

fundierte Begründungen<br />

verzichten? Oder bedarf es sogar<br />

einer gewissen „religiösen<br />

Musikalität“ (Jürgen Habermas<br />

unter Rückgriff auf Max Weber),<br />

um die auf uns zukommenden<br />

Grundwertediskussionen und die<br />

Der Philosoph Hans Joas hält die<br />

Annahme, dass wirtschaftliche<br />

Modernisierung zwangsläufig zu<br />

einem Bedeutungsverlust der Religion<br />

führt, <strong>für</strong> nicht haltbar.<br />

Die so genannten Ausnahmen erweisen<br />

sich auch <strong>für</strong> Gottfried Küenzlen,<br />

Sozialwissenschaftler und Theologe an<br />

der Universität der Bundeswehr in<br />

München, als so zahlreich, dass sie<br />

eher als Regel bezeichnet werden<br />

müssten und weite Teile Europas und<br />

Deutschland als Sonderfall erscheinen.<br />

Entscheidend ist <strong>für</strong> ihn aber die außereuropäische<br />

Perspektive, die vor<br />

allem aufgrund der steigenden politischen<br />

Bedeutung des Islam nur den<br />

damit verbundenen politischen<br />

Entscheidungen zu meistern? Es<br />

war ein weites Feld an schwierigen<br />

Themen, das sich Teilnehmer<br />

und Referenten der Tagung<br />

„’Religiöse Musikalität’ – Ein<br />

Fundament normativer Politikorientierung“<br />

vorgenommen hatten.<br />

Denn es ging um nicht weniger<br />

als die grundsätzliche Frage<br />

nach dem Verhältnis von Politik<br />

und Glaube, Glaube und Moral<br />

zueinander. Sind wir Zeugen einer<br />

Renaissance des Religiösen?<br />

einen Schluss zulasse, dass Religion in<br />

die Geschichte zurückgekehrt sei und<br />

eine große Macht und Anziehungskraft<br />

auf die Lebensführung von Menschen<br />

ausübe.<br />

Die durch die Politisierung des Islam<br />

unter anderem aufgeworfene Frage<br />

nach dessen Vereinbarkeit mit westlichen<br />

Verfassungswerten beschäftigte<br />

auch den Wiener Rechtstheoretiker<br />

Gerhard Luf, als er über die Fundierung<br />

von Verfassungsnormen in Wertordnungen<br />

sprach. Zuletzt im Streit um<br />

die Mohammed-Karikaturen habe sich<br />

gezeigt, dass Werte „nicht abstrakt und<br />

kontextlos gelten, sondern von kulturellen<br />

Voraussetzungen abhängig sind,<br />

die den Umfang des Rechtsschutzes<br />

und den der staatlichen Handlungspflichten<br />

mitprägen.“ Rechtliche Werte<br />

verblieben viel intensiver in kultureller<br />

Kontextualität als wir es üblicherweise<br />

zur Kenntnis nähmen.<br />

Hypostasierung der<br />

Selbstbestimmung<br />

Doch auch innerhalb eines kulturellen<br />

Kontextes können sich Werte verändern.<br />

Dass sich dieser Wertewandel<br />

auch auf die Interpretation von Recht<br />

und das Verhältnis von Recht und Ethik<br />

auswirkt, zeigte der Kulturjournalist<br />

Alexander Kissler anhand aktueller<br />

�<br />

<strong>Akademie</strong>-Report 2/2006

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