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Akademiereport 2-06.pmd - Akademie für Politische Bildung Tutzing

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Diskussionen um die Menschenwürdegarantie<br />

des Artikel 1 des Grundgesetzes.<br />

Die „rhetorische Expansion des<br />

Begriffs bei dessen gleichzeitiger Entleerung“<br />

sei eine wesentliche Signatur<br />

unserer Zeit. Ob Hartz IV, rechtliche<br />

Begrenzungen der Gentechnologie<br />

oder die Einschränkung der betrieblichen<br />

Mitbestimmung: All zu schnell<br />

werde auf die Unantastbarkeit der<br />

Menschenwürde verwiesen. In der bioethischen<br />

Diskussion habe sich zwischen<br />

den „doppelten Konnex von<br />

Mensch und Würde und von Würde<br />

und Unversehrtheit“ die „Person“ geschoben.<br />

Zwar besitze jeder Mensch<br />

Würde, doch nur wer Mensch und Person<br />

sei, könne körperliche Unversehrtheit<br />

beanspruchen. An Stelle des umfassenden<br />

Würdekonzeptes tritt eine<br />

Menschenwürde, die an bestimmte Voraussetzungen<br />

und Interessen gebunden<br />

ist. Diese Vorstellung wird seit einiger<br />

Zeit auch in einem namhaften<br />

juristischen Kommentar geäußert.<br />

Kissler hob in diesem Zusammenhang<br />

die Bedeutung der Gerichte hervor,<br />

und fragte nach der Grundlage, auf<br />

welcher eine mögliche Abwägung vorgenommen<br />

werden soll.<br />

Der herrschende Begriff der Selbstbestimmung<br />

drohe in einen leitenden<br />

Grundsatz umzuschlagen: „Die Hypostasierung<br />

der Selbstbestimmung ist<br />

das verbindende Glied in den Debatten<br />

um Embryonenforschung, Sterbe-<br />

<strong>Akademie</strong>-Report 2/2006<br />

hilfe, Menschenwürde, Vaterschaft und<br />

Willensfreiheit.“<br />

Quellen unserer Werte<br />

Geht man einen Schritt hinter den<br />

Wandel der Werte zurück, so stellt sich<br />

zunächst die Frage, woraus wir unsere<br />

Werte schöpfen – sofern es denn gemeinsame<br />

Werte gibt?<br />

Nach Dietmar Mieth, Tübinger Moraltheologe<br />

und Bioethiker, besteht die<br />

Gefahr, dass das Selbstverständnis der<br />

Religion durch die Wissenschaft und<br />

deren normative Kraft des Fiktiven<br />

ersetzt werden. Der wissenschaftlichtechnische<br />

Fortschritt sei Teil unserer<br />

Identität geworden und habe säkularreligiöse<br />

Züge angenommen. Das Sitt-<br />

Der Kulturjournalist Alexander Kissler (links) im Gespräch mit Hans Maier<br />

über Religion als politische Entscheidungshilfe. Fotos: Wolf<br />

liche werde gegenüber dieser Quasi-<br />

Religion und ihrer wertbildenden Kraft<br />

kleingeschrieben. Zwar gebe es Wertkonflikte<br />

mit und ohne Religion. Doch<br />

bestimmte Erfahrungen, so Mieth, könne<br />

nur die Religion bieten. Die Kontingenzerfahrung<br />

(Endlichkeit, Abhängigkeit,<br />

Fehlerfähigkeit etc.), die Erfahrung<br />

als Assistenten der Schöpfung,<br />

die Verortung Gottes in jedem Menschen,<br />

die Erfahrung von Caritas und<br />

Kompassion, sowie die Ununterschiedenheit<br />

des Religiösen vom Ethischen<br />

zählt Mieth dazu. Für ihn sind das Sittliche<br />

und das Religiöse keine alternativen,<br />

sondern reziproke Quellen unserer<br />

Werte.<br />

Diese Auffassung des Verhältnisses<br />

von Religiösem und Sittlichem scheint<br />

auch dem ehemaligen bayerischen<br />

Kultusminister Hans Maier, der von<br />

Alexander Kissler zur Rolle des Glaubens<br />

als politische Entscheidungshilfe<br />

befragt wurde, nicht fern zu liegen.<br />

Glauben als politische<br />

Entscheidungshilfe<br />

Auch wenn sich die kirchenförmige<br />

Religion auf niedrigem Niveau stabilisiere,<br />

hält Maier den christlichen<br />

Hintergrund der deutschen Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> breit genug, dass sich auch<br />

christliche Begründungen in der Politik<br />

verstehen lassen. Gleichwohl würde<br />

er es erwartungsgemäß begrüßen,<br />

wenn die christlichen Parteien ihre<br />

Basis wieder stärker offen legten und<br />

Hintergrundüberzeugungen von Politikern<br />

deutlich werden. Persönlich<br />

hält es Maier mit dem Heiligen Benedikt,<br />

der lehre, zunächst schweigend<br />

zuzuhören, dann zu beten und zu arbeiten.<br />

Dies könne er übrigens auch<br />

dem amerikanischen Präsidenten empfehlen,<br />

ergänzte Maier augenzwinkernd.<br />

Das Selbstverständnis der Kirchen als<br />

politische und gesellschaftliche Akteure<br />

beschrieb neben Kirchenrat Dieter<br />

Breit <strong>für</strong> die evangelische Kirche<br />

in Bayern auch der Präsident des Zentralkomitees<br />

der deutschen Katholiken<br />

(ZdK), Hans Joachim Meyer.<br />

Durch ihre Präsenz in der Gesellschaft<br />

ist <strong>für</strong> Meyer Kirche selbstverständlich<br />

auch gesellschaftlicher Akteur.<br />

Ob der christliche Glaube jedoch in<br />

einer Gesellschaft auch als eine Quelle<br />

von Antworten und Impulsen <strong>für</strong><br />

Gegenwart und Zukunft gilt, hänge<br />

nicht nur von dem Maß ab, in dem es<br />

der Kirche gelingt, sich in ihrer Verkündigung<br />

und Lebenspraxis der Gesellschaft<br />

zuzuwenden, sondern auch<br />

von den in einer Gesellschaft vorherrschenden<br />

Haltungen gegenüber Kirche<br />

und Glauben.<br />

Anhand ausgewählter Stationen zeichnete<br />

Meyer den Weg der deutschen<br />

Katholiken und ihrer Kirche in die<br />

freiheitliche Gesellschaft der Gegenwart<br />

nach. Heute zwingen die aktuellen<br />

Entwicklungen auch die Laienkatholiken<br />

zu „neuen oder neu zu be-<br />

�<br />

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