Ausg. 35 - apr
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teleuropa zu belassen (im Fernen Osten ist es<br />
periodenweise schon knapp), aber solche Gedanken<br />
widersprachen damals dem Zeitgeist,<br />
dem insbesondere die (meist sachunkundigen<br />
– Die Red.) monetären Großkopfeten in<br />
den Vorstandsetagen huldigten.<br />
Für eine weiterreichende Zellstofforschung<br />
empfahl Albrecht, einheitliche Molekulargewichte<br />
zu erstreben, was möglicherweise<br />
aber nicht oder nur schwer zu realisieren<br />
sei 7 . Einhämmern müsse man sich auch<br />
die Forderung, daß die chemische Industrie<br />
völlig andere Zellstoffe als die Papierindustrie<br />
benötigt, weshalb man der Holzchemie<br />
im Rahmen der wissenschaftlichen Gesamtanstrengung<br />
der BRD-Institutionen<br />
den gebührenden Stellenplatz einräumen<br />
sollte.<br />
Das allein reicht natürlich nicht! Unverzichtbar<br />
bleibt deshalb der sehnsüchtige<br />
Glaube, daß die Cellulose einen bedeutenden<br />
Beitrag für die Rohstoffversorgung zukünftiger<br />
Generationen bieten kann. Er schloß mit<br />
einem Wort von Exupery:<br />
„Wer ein Schiff bauen will, benötigt mehr<br />
als Werkzeug und Arbeiter vor allem die<br />
Sehnsucht nach dem Meer!“<br />
In dieser knappen halben Stunde hatte<br />
Schurz den Eindruck gewonnen, daß der aktuelle<br />
Trend den Celluloseeinsatz nur für hohe<br />
Wertschöpfungen zuläßt – der Einsatz für<br />
Massenprodukte komme wohl kaum in Frage.<br />
Philipp teilte diese Meinung und stellte<br />
die Bedeutung der Aktivierung der Cellulose<br />
heraus, worüber man aber noch im nächsten<br />
Beitrag von Fischer hören würde. Albrecht erinnerte<br />
daran, daß bei Dissolving-gradeZellstoffen<br />
der Titangehalt s. Zt. als kritisch galt.<br />
– Diskussionsredner ohne deutliche Namensnennung<br />
müssen leider unerwähnt<br />
bleiben.<br />
Des verspäteten Beginns wegen verschob<br />
Gruber den nächsten Beitrag auf den<br />
Nachmittag, um allen Anwesenden eine Stärkung<br />
in der 63minütigen Pause zu ermöglichen.<br />
Die Nachmittagssitzung<br />
des RG<br />
eröffnete H. Schleicher, Teltow, als Diskussionsleiter<br />
pünktlich zum Glockenschlag<br />
zwei Uhr und hatte schon zwei Minuten später<br />
K. Fischer, Tharandt, auf dem Rostrum<br />
(Co-Autor: I. Schmidt):<br />
Strahlenchemische Veränderungen<br />
an der Cellulose und deren Auswirkungen<br />
auf die Derivatisierung<br />
die Fischer-typisch zum anpruchsvollsten Beitrag<br />
des 39. RG gerieten. Auch als freier Sprecher<br />
eine Klasse für sich eröffnete er den 23-<br />
Minuten-Diskurs mit dem Hinweis, daß Stöße<br />
von hinreichend beschleunigten Elektronen<br />
mit den Hüllelektronen der Atome nach Anregung<br />
Radikale erzeugen. Bei auf<br />
2 MeV akzelerierten Elektronen kann man eine<br />
Eindringtiefe im Wasser um 8 mm ansetzen,<br />
in der es neben Radikalbildung auch zu<br />
Vernetzungen oder Eliminierungen kommen<br />
kann, wenn man sich im Dosisbereich von 5 bis<br />
20 KGy bewegt. So fand man in Tharandt, daß<br />
bei 20 KGy infolge Wasserstoffabstraktion eine<br />
Carbonyl- und 15 – 20 Carboxyl-Gruppen<br />
gebildet werden, wobei die trockene Cellulose<br />
die Radikalbildung am meisten befördert.<br />
Schon früher hatte der Autor zusammen mit<br />
Goldberg († 1994) um 1987 herausgefunden,<br />
daß Cellulose durch Elektronenstrahlen vorwiegend<br />
abgebaut, aber kaum vernetzt wird.<br />
Die Kinetik des Abbaus verläuft dabei wie<br />
in homogener Lösung auch, wobei in der Eile<br />
des Mitgeteilten nicht registriert werden<br />
konnte, ob es sich um homogene molekulare<br />
oder micellare Lösungen handelte. Die resultierende<br />
Uneinheitlichkeit ist jedenfalls eine<br />
Funktion der Bestrahlungsdosis; sie nimmt<br />
durch Bestrahlung ab, da infolge des statistischen<br />
Abbaus der Cellulosekette eine Vergleichmäßigung<br />
der Molmassenverteilung<br />
bewirkt wird. Dieser Befund begründet zugleich<br />
die gleichmäßige Substitution bei Derivatisierungen.<br />
Als Überraschung wurde jedenfalls<br />
der Befund gewertet, daß die Strahlenbehandlung<br />
den WRV-Wert erhöht! Ergo<br />
muß eine Veränderung der übermolekularen<br />
Struktur eingetreten sein (Denn Kristallite<br />
können ja trotz Radikalbildung kein intrakristallines<br />
Wasser akkommodieren – dachte<br />
man vielleicht im Auditorium; andere mögen<br />
bei diesem Satz die angeblich quellfähigen<br />
sog. amorphen Bereiche in Betracht gezogen<br />
haben!). Doch schon der nächste Satz brachte<br />
die Erhellung: Die Bestrahlung erhöht<br />
nämlich auch die CS2-Akzessibilität! Derart<br />
große Moleküle kommen aber auch durch die<br />
Penetration amorpher Bereiche kaum in Frage<br />
– ohne topochemische Reaktion! Zusätzlich<br />
wurde aber gefunden, daß die Fixierung<br />
von Schwefelkohlenstoff an Alkalicellulose in<br />
deren hoch- wie niedermolekularen Anteilen<br />
gleichmäßig erfolgt. Vergleichbare Effekte<br />
PAPIERERZEUGUNG<br />
traten auch bei der Derivatisierung zu<br />
Ethern auf, die ebenfalls zu ausgeglichen gestalteten<br />
Produkten führte, wenn die Bestrahlung<br />
der Alkalisierung vorausging. Die<br />
Derivate mit Methyl – bzw. Phenylgruppen<br />
selbst reagierten allerdings verzögernd auf<br />
den Strahlenbbau – vielleicht auch infolge<br />
der Obliteration der übermolekularen Struktur?<br />
– möchte man fragen.<br />
Mit einer schwungvoll geführten Diskussion<br />
dankte man den Autoren für ihren so anregenden<br />
Beitrag, die Schleicher umsichtig<br />
leitete. Gruber wollte wissen, wie sich der<br />
Strahlenabbau auf Regenerate auswirkt,<br />
doch lag er damit etwas neben der Sache,<br />
denn Fischer hatte ja nur über die Bestrahlungseffekte<br />
bei nativer Cellulose berichtet.<br />
Philipp wollte wissen, ob die strahlungsinduzierten<br />
Unordnungszentren einmal bei der<br />
nachfolgenden Alkalibehandlung manifest<br />
werden, und ob dieselben zum anderen ausheilen<br />
können. Fischer kommentierte, daß<br />
solche Disorderzentren sehr wohl stabil sind<br />
– sogar über Monate hinweg.<br />
Albrecht erinnerte daran, daß die Festigkeit<br />
von Regeneraten nicht allein vom Polymerisationgrad<br />
beeinflußt wird, sondern<br />
mehr noch von den Spinnbedingungen abhängt,<br />
welchletztere man sehr wohl manipulieren<br />
könne. Ruck hatte nicht verstanden,<br />
warum chaotisch erfolgende Kettenspaltungen<br />
(auch intrakristallin!) das Molekulargewicht<br />
vergleichmäßigen, und wurde dahingehend<br />
belehrt, daß die langen Ketten wahrscheinlicher<br />
getroffen werden als die kürzeren,<br />
was zwangsläufig zu einer Vergleichmäßigung<br />
führen müsse. Der Fragende wagte<br />
wohl nicht den Einwand, daß diese Sicht<br />
der Fakten nicht die von Staudinger und<br />
Sohn 1937 gefundenen Lockerzonen berücksichtigt,<br />
die aufgrund ihrer Entkopplungsenergie<br />
wahrscheinlich eher schneller als<br />
langsamer auf Beschuß reagieren – was im<br />
Endeffekt aber auch die Kettenlänge vergleichmäßigt!<br />
Darüber wurde unter zwei Seminarmitgliedern<br />
sogar noch in der Pause diskutiert,<br />
wobei als weiteres Argument ins Spiel kam,<br />
daß die langen Ketten bei der Viskosimetrie<br />
mit der 1,7-Potenz zu Buche schlagen, so daß<br />
nur wenige lange Molekel halbiert werden<br />
müssen, um eine Pseudovergleichmäßigung<br />
anzudeuten. Beruhigend allerdings, daß eine<br />
7 Solange nicht das Phämonen der Staudingerschen Keltenlängendifferenz<br />
geklärt ist, auf das Dolmetsch 1959 sowie 1961 und<br />
1962 mehrfach hingewiesen hat. – Die Red.<br />
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