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Peter Gerlach, Idylle<br />
Tiere gibt es in seiner Welt nirgends – dann liegt der Schluss nahe, dass dem idyllischen Aspekt seine<br />
Vorliebe galt. Der deutsche Maler und Fotograf Wols (Wolfgang Schulze, 1913 Berlin - 1951 Paris), der in<br />
Paris lebte, machte noch Ende der 30er Jahre sich dieses Motiv zu eigen, um daraus schließlich seine<br />
abstrakten Kompositionen abzuleiten. Wie bei Marc Chagall, zwei Jahrzehnte zuvor, schweben seine<br />
feinstrichig gezeichneten Figuren in einer Umgebung, die von Großstadtversatzstücken durchsetzt und<br />
umfangen ist. Doch es ist eine verklärte, sonnendurchschienene, helle Welt von heiterer Farbigkeit. 28<br />
Des Bauhauses Sache war die Idylle nicht – so erscheint es auf den ersten Blick. Seine Vertreter hatten ein<br />
ernstes Anliegen, nicht aber die beruhigende, liebliche Seite der Vorstellungen vom alternativen Leben. In<br />
der Literatur zum Bauhaus wurde diese Frage indessen auch bisher nicht gestellt, weil es aus allem, was<br />
zum Bauhaus zu sagen schien, doch zu ferne lag, darüber viele Worte zu verlieren. Aber jenseits der<br />
politischen Agitation, dem Industriedesign und der Auftrags-Architektur sprechen die von den Malern selbst<br />
verwendeten assoziativen Begriffe, wenn sie über ihre gegenstandslosen Kompositionen redeten und<br />
schrieben, eine beredte Sprache. Da ist dann wieder von Ausgewogenheit, von Stille, von Harmonie die<br />
Rede. Alles Begriffe, die sehr wohl mit dem Stimmungsbild von der Idylle verknüpft erscheinen. Und zwar mit<br />
einer Seite dieser Ideetradition, die auf den neuzeitlichen Kern der damit verbundenen Vorstellungswelt zum<br />
ersten Mal am Anfang des 17. Jahrhunderts zur Hauptsache wurde: der von der Innerlichkeit. Inneres<br />
Erleben – Einfühlung lautete der zeitgenössische Leitbegriff von Theodor Lipps bis zu dem von Kandinsky<br />
gelegentlich <strong>als</strong> Kronzeugen beschworenen Wilhelm Worringer 29 - <strong>als</strong> positiv besetzte menschliche Fähigkeit<br />
von jederzeit aktivierbarer Ausgeglichenheit und Beglückung durchsetzt das Vokabular der am Bauhaus<br />
Lehrenden, von Paul Klee, Wassily Kandinsky, Johannes Itten 30 bis Oskar Schlemmer. Sie beriefen sich auf<br />
Wilhelm Worringers Schrift „Abstraktion und Einfühlung“, in der hauptsächlich von der wenige Zeit zuvor<br />
entdeckten frühgeschichtlichen Malerei die Rede war, aber auch gelegentlich von der Kunst der Kinder, die<br />
Kandinsky und vor allem Paul Klee faszinierte 31 . Der utopisch-fiktive Duktus von „abstrakter“ Kunst und den<br />
28 „L'inaccesible rocher“, 1939, Paris, Priv. Bes.; „Ohne Titel“, um 1941, Privatbes. Ausst. Katalog »Wols<br />
1913-1951, Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen.« Nationalgalerie Berlin, 13.9.-5.11.1973, Nr. 52 und 87<br />
29 Im Jahre 1898 veröffentlichte Paul Stern eine kritische Studie unter dem Titel »Einfühlung und<br />
Association in der neueren Ästhetik. Ein Beitrag zur psychologischen Analyse der ästhetischen<br />
Anschauung.« Hamburg - Leipzig 1898, 82 S.; sie erschien <strong>als</strong> 5. Bd. in der von Theodor Lipps und<br />
Richard Maria Weber herausgegebenen Reihe der "Beiträge zur Ästhetik." Zur "Einfühlung" <strong>als</strong><br />
Selbstgenuß siehe: Theodor Lipps, "Einfühlung und ästhetischer Genuß." In: »Die Zukunft.« Bd. 54,<br />
1906, S.100 - 114; bereits 1903 in: »Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst.« Hamburg -<br />
Leipzig 1903, Bd. 1 – 2; Bd.1, 2. Abschnitt "Einleitendes zur Frage der Einfühlung", S. 96 - 223<br />
ausführlich behandelt. Auf Sätze wie "... Das Gefühl der Schönheit ... ist das beglückende Gefühl des<br />
ungehemmten Sichauslebens der Individualität" (a.a.O., S. 202) berief sich auch Wilhelm Worringer,<br />
»Abstraktion und Einfühlung.« (1906) 3. Aufl. München 1911, S. 4 ff. Vgl. zur Kritik des Begriffspaares<br />
von Worringer: Peter Gerlach, "Abstraktion und Einfühlung." In: Aachener Kunstblätter, Bd. 56/57,<br />
Aachen 1988/89, S. 343 – 352, und Kitty Zijlmans - Jos Hoogeveen, »Kommunikation über Kunst. Eine<br />
Fallstudie zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des 'Blauen Reiters' und von Wilhelm Worringers<br />
'Abstraktion und Einfühlung'.« = Kleine Alpha Reeks 1, Leiden 1988.<br />
30 Bei Itten spielte nun eine Überlagerung mit einem pseudo-fernöstlichen Kult – dem Mazdaznan – eine die<br />
Harmonielehre besonders fördernde Rolle, vgl. Karin Thönnissen, »Johannes Itten und die Höhere<br />
Preussische Fachschule für textile Flächenkunst.« Diss. Aachen 1998.<br />
31 „Es gibt nämlich noch Uranfänge von Kunst, auffindbar in ethnographischen Sammlungen oder daheim in<br />
der Kinderstube. Lache nicht, Leser, die Kinder können es auch, und es steckt Weisheit darin, daß sie es<br />
auch können. Je hilfloser sie sind, desto lehrreichere Beispiele bieten sie uns.“ Paul Klee, »Tagebücher.«<br />
1912, vgl. Marcel Franciscono, "Paul Klee und die Kinderzeichnung." In: Jonathan Fineberg (Hrsg.),<br />
»Kinderzeichnung und die Kunst des 20. Jahrhunderts.« Stuttgart 1995, S. 29. Erwähnenswert ist hier<br />
auch die Tätigkeit des Malers und Kunstpädagogen Cižek, vgl. L. W. Rochowanski, »Die Wiener<br />
Jugendkunst. Franz Cižek.« Wien 1946, S.15 ff.<br />
http://www.kunstserviceg.de/gerlach 10 von 15