Herunterladen als PDF - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
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selber noch an dieser Projektion partizipieren, um sich dem Druck der beschleunigten<br />
kulturellen Wandlungen zumindest teilweise entziehen zu können. 21<br />
Für jede ältere Vorstellung mußte eine Wortpaarung wie "primitive Kunst" <strong>als</strong> ein unsinniges<br />
Paradox erscheinen, schloß doch der Inhalt von "primitiv" - <strong>als</strong> das Gegenteil von Kultur -,<br />
"Kunst", den Inbegriff von vollzogener kultureller Entfaltung, aus. 22<br />
"Mit diesem unverkennbaren Drang zum Objektiven, zur zwingenden Vereinfachung der<br />
Form, zu einer elementaren Vorurteilslosigkeit der künstlerischen Wiedergabe, hängt jener<br />
Grundcharakter der neuen Kunst zusammen, den man <strong>als</strong> sinnlose Primitivitäts- und<br />
Kindlichkeitskomödie vor dem erwachsenen Europa lächerlich machen zu können glaubt",<br />
schrieb Worringer 1911 in Verteidigung der neueren (französischen) Kunstrichtungen, die<br />
sich an Cézanne, van Gogh und Matisse orientierten, gegen Carl Vinnens Angriff auf die<br />
Kunst der Moderne. 23<br />
"Nicht ist ihr [der Kunst] Wesen - kritisierte Adorno dieses Ansinnen - "aus ihrem Ursprung<br />
deduziebel, so <strong>als</strong> wäre das Erste eine Grundschicht, auf der alles Folgende aufbaute und<br />
einstürze, sobald sie erschüttert ist. Der Glaube, die ersten Kunstwerke seien die höchsten<br />
und reinsten, ist späteste Romantik: nicht mit minderem Recht ließe sich vertreten, die<br />
frühesten kunsthaften Gebilde, ungeschieden von magischen Praktiken, geschichtlicher<br />
Dimension, pragmatischen Zwecken wie dem, durch Rufe oder geblasene Töne über weite<br />
Strecken sich vernehmbar zu machen, seien trüb und unrein; die klassizistische Konzeption<br />
bediente sich gerne solcher Argumente." 24<br />
Mit den - heimlich oder offen geliebten - Zügen eines von der Gesamtentwicklung<br />
Überholten bedrückt seitdem alle Kunst die verdächtige Hypothek des nicht ganz<br />
Mitgekommenen, Regressiven. Dennoch bedienten und bedienen sich Künstler seitdem<br />
jener Lebensbereiche <strong>als</strong> Inspirationsquelle, die angesichts der Steigerung technischer<br />
Effizienz und ökonomischer Rationalität vom triumphierenden Bürgertum <strong>als</strong> ineffektiv, <strong>als</strong><br />
regressiv beiseite geschobenen waren: der Bereich der Kindheit und der der<br />
Geisteskrankheit. Die "Natur" indessen ist sowohl ästhetisch den einen wie ökonomisch den<br />
anderen verdächtig, weil die Grenzen ihrer Ausbeutbarkeit zu offensichtlich geworden sind.<br />
In der ästhetischen Verhaltensweise, die in der Kunst konserviert wird und deren Kunst<br />
unbedingt bedarf, versammelt sich, was seit jeher von Zivilisation gewalttätig<br />
weggeschnitten oder unterdrückt wurde, samt dem Leiden der Menschen unter dem ihnen<br />
Abgezwungenem, das wohl in den primären Gestalten von Mimesis sich äußert. 25