Bildnis in Bild und Wort - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
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Dieses hochgeschätzte Visuelle ist Teil e<strong>in</strong>er Vorstellungswelt, die benannt se<strong>in</strong> will.<br />
Die Lehre von der 'actio', auf die Alberti sich beziehen konnte, ruhte auf e<strong>in</strong>em<br />
philosophischen <strong>und</strong> wissenschaftlichen F<strong>und</strong>ament, das <strong>in</strong> den Physiognomie-Texten e<strong>in</strong>e<br />
se<strong>in</strong>er Ausführungen erhielt. 21<br />
Es bestand aus der Vorstellung e<strong>in</strong>er zeitlichen Abhängigkeit der <strong>in</strong> Gruppen geordneten<br />
Wesen, seien es Sterne, M<strong>in</strong>eralien, Pflanzen oder Tiere <strong>und</strong> Menschen gegenüber e<strong>in</strong>er<br />
räumlichen Ordnung stabiler, <strong>in</strong> sich unveränderbarer je e<strong>in</strong>zeln charakterisierbarer D<strong>in</strong>ge. 22<br />
Die räumliche Ordnung ist für den Menschen dadurch zu erfassen, daß er Ähnlichkeiten von<br />
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dreifacher Art : convenientia (räumliche Nähe, S.47), aemulatio (Spiegelung der Gestalt,<br />
unabhängig vom Ort, also von der räumlichen Nähe) <strong>und</strong> analogia (Entsprechung, subtile<br />
Verb<strong>in</strong>dung, S.50) zwischen den D<strong>in</strong>gen erkennt.<br />
In <strong>Wort</strong>en von Paracelsus z.B. kl<strong>in</strong>gt das etwa so: "Durch die Kunst Chiromantia,<br />
Physiognomia <strong>und</strong> Magia ist möglich, gleich von St<strong>und</strong> an, nach dem äußerlichem Ansehen,<br />
e<strong>in</strong>es jeden Krautes <strong>und</strong> jeder Wurzel Eigenschaft <strong>und</strong> Tugend zu erkennen an se<strong>in</strong>en<br />
Signa, an se<strong>in</strong>er Gestalt, Form <strong>und</strong> Farbe."<br />
Physiognomik im engeren, uns geläufigen S<strong>in</strong>ne, ist e<strong>in</strong>er der auf den Menschen - aber nicht<br />
immer nur auf ihn - beschränkten Teile dieser umfassenden Ähnlichkeitslehre. Sie reichte<br />
von den Gestirnen, M<strong>in</strong>eralien, Pflanzen, Tieren <strong>und</strong> Menschen bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die humoralhomöopathische<br />
Mediz<strong>in</strong>. Überlieferte Texte zur Physiognomie behandelten zu e<strong>in</strong>igen<br />
Zeiten außer dem Menschen ebenso Pferde <strong>und</strong> Falken charakterk<strong>und</strong>lich.<br />
[Vorzüglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten auf Aristoteles fußenden Texttradition der arabischen<br />
Literatur, die zu Beg<strong>in</strong>n des 13.Jh. <strong>in</strong> late<strong>in</strong>ischen <strong>und</strong> ab dem 14.Jh. <strong>in</strong> volkssprachlichen<br />
Übersetzungen nachweisbar ist.]<br />
Als Teil der Lehre von den 'similes', den Ähnlichkeiten, beruht Physiognomik auf e<strong>in</strong>er<br />
Semiotik. Diese Theorie der Deutung von sichtbaren, äußeren Anzeichen auf e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren<br />
<strong>und</strong> deshalb unsichtbaren Zustand, entspricht etwa mediz<strong>in</strong>ischer Diagnostik im Gr<strong>und</strong>e<br />
noch heute. Sie ist abgeleitet aus der Erfahrung, daß zwischen dem Äußeren der<br />
Ersche<strong>in</strong>ung <strong>und</strong> der Psyche des Menschen e<strong>in</strong>e natürliche Wechselbeziehung vorliegt -<br />
unter dem Begriff der 'motu animae' (Seelenregung) <strong>in</strong> der Antike gefaßt. Was jeder z.B.<br />
unter Erröten oder dem Gegenteil, dem Bleichwerden, h<strong>in</strong>reichend an sich selber bestätigt<br />
f<strong>in</strong>det. Negativ das Gleiche bezeichnend soll aber auch das christliche Gegenbild nicht<br />
unerwähnt bleiben. Bei Plot<strong>in</strong> (um 205-270) steht, daß "die Seele alle Übel <strong>und</strong> Mühsal im<br />
Leib erduldet, wo sie <strong>in</strong> Schmerzen, Begierden, Ängsten <strong>und</strong> alle anderen Übel gerät,<br />
weshalb auch der Leib ihre Fessel <strong>und</strong> ihr Grab heißt." 24<br />
Der Begriff von der 'Actio' <strong>in</strong> der Rhetorik - wie an Albertis Verwendung erläutert - ist also<br />
nicht der unabhängig übergeordnete, sondern der abgeleitete Begriff aus der<br />
Ähnlichkeitslehre.<br />
Vergleichen mit Ähnlichem war demnach die Möglichkeit nicht nur verbal Intendiertes zu<br />
vermitteln, sondern gerade auch Unsichtbares faßbar zu machen. Und so wurde es <strong>in</strong> der<br />
Poetik praktiziert.<br />
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Z.B.: Die gesamte Lyrik des Frauenlobes von Ariost bis Petrarca <strong>und</strong> Tasso zehrte noch<br />
von den Vergleichen der Angebeteten mit Sonne, Mond <strong>und</strong> Milch oder Venus, Diana oder<br />
Amazonen. Der 'poeta pictor' <strong>und</strong> der 'pictor poeta' (nach Horaz) erfüllten ihren Auftrag am<br />
Vollendetsten mit der Erf<strong>in</strong>dung vielsagender Vergleiche. Dabei hielt die Epik sich aber<br />
streng an e<strong>in</strong>en vorgegebenen Kanon, der - aus der mittelalterlichen Epik überkommen - ca.<br />
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