Bildnis in Bild und Wort - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
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- Epik <strong>und</strong> Roman gaben dabei den Katalog vor.<br />
- Physiognomische Literatur listete dessen charakterk<strong>und</strong>lich - wertende Deutungen auf.<br />
- Rhetorik <strong>und</strong> Literatur für Schauspieler bis h<strong>in</strong> zu Anstandsbüchern gaben<br />
Anweisungen zum Stil der schicklichen Selbst<strong>in</strong>szenierung <strong>und</strong> Affektkontrolle.<br />
Physiognomische Texte alle<strong>in</strong>e können mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> ausreichendes Instrument für e<strong>in</strong>e<br />
angemessen rekonstruierende Bedeutungs-Erschließung hergeben. Sondern: erst im Vere<strong>in</strong><br />
mit den übrigen Literatursorten erschließen sich die Weiten, aber auch die engen Grenzen<br />
derjenigen Bedeutungsfelder, die wir mit Fug auch auf die bildnerischen Individual-Porträts<br />
anzuwenden haben.<br />
Individualität erweist sich somit damals wie heute als e<strong>in</strong> Konstrukt, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />
aus mehreren Quellen gespeist, sich für jeden E<strong>in</strong>zelnen nicht als e<strong>in</strong> stabiles 'Ansich'<br />
darstellt. Individualität als Bewußtse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halt <strong>und</strong> als gesellschaftliche Realität muß täglich<br />
neu bestätigt werden, jeder muß sich dessen täglich für sich wieder vergewissern. <strong>Bild</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Wort</strong> haben daran gleichermaßen Anteil, aber ihre Anteile s<strong>in</strong>d nicht austauschbar. Der<br />
immer naheliegende Wunsch, das Gesicht oder die Gestalt e<strong>in</strong>er geliebten Person <strong>in</strong> <strong>Wort</strong>e<br />
zu fassen scheitert <strong>in</strong> kläglichen <strong>Wort</strong>hülsen, die nicht e<strong>in</strong>mal an der Grad der Varianten der<br />
physiognomischen Literatur heranreichen, denn wir wissen meist nicht, woh<strong>in</strong> wir eigentlich<br />
schauen!<br />
(* Augenbewegungsbild) 33<br />
Hier zeigt sich deutlich, daß das tatsächlich Angeblickte <strong>in</strong> <strong>Wort</strong>e zu fassen sich meist nicht<br />
schickt: der Blick me<strong>in</strong>t etwas anderes, als die zulässige Rede zu bezeichnen erlaubt.<br />
Musils "Mann ohne Eigenschaften" hat eigentlich ke<strong>in</strong> äußeres Ersche<strong>in</strong>ungsbild mehr, er<br />
hat nur noch Innenwahrnehmungen. Dort heißt es, als Ulrich <strong>in</strong> die Fänge der Polizei geriet:<br />
" Name? Alter? Beruf? Wohnung? ... Ulrich wurde befragt ... Se<strong>in</strong> Gesicht galt nur als<br />
Signalement; er hatte den E<strong>in</strong>druck, nie früher bedacht zu haben, daß se<strong>in</strong>e Augen graue<br />
Augen waren, e<strong>in</strong>es von den vorhandenen vier, amtlich zugelassenen Augenpaaren, das es<br />
<strong>in</strong> Millionen Stücken gab; se<strong>in</strong>e Haare waren blond, se<strong>in</strong>e Gestalt groß, se<strong>in</strong> Gesicht oval,<br />
<strong>und</strong> besondere Kennzeichen hatte er ke<strong>in</strong>e, obgleich er selbst e<strong>in</strong>e andere Me<strong>in</strong>ung davon<br />
besaß. Nach se<strong>in</strong>em Gefühl war er groß, se<strong>in</strong>e Schultern waren breit, se<strong>in</strong> Brustkorb saß wie<br />
e<strong>in</strong> gewölbtes Segel am Mast, <strong>und</strong> die Gelenke des Körpers schlossen wie schmale<br />
Stahlglieder die Muskeln ab, sobald er sich ärgerte, stritt oder Bonadea sich an ihn<br />
schmiegte; er war dagegen schmal, zart, dunkel <strong>und</strong> weich wie e<strong>in</strong>e im Wasser schwebende<br />
Meduse, sobald er e<strong>in</strong> Buch las, das ihn ergriff, oder von e<strong>in</strong>em Atem der heimatlosen<br />
großen Liebe gestreift wurde, deren In-der-Welt-Se<strong>in</strong> er niemals hatte begreifen können."<br />
Selten gel<strong>in</strong>gt es e<strong>in</strong>em Schauspieler über das Erwartungsklischee an e<strong>in</strong>e Rolle h<strong>in</strong>aus mit<br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuell überzeugenden Physiognomie zu füllen. Dies Problem aber ist ke<strong>in</strong>es der<br />
bildüberfluteten Mediengesellschaft, sondern offensichtlich so alt, wie <strong>in</strong> der europäischen<br />
städtischen Gesellschaft der Versuch ansetzte, zu lernen sich angemessen als E<strong>in</strong>zelner von<br />
Anderen zu unterscheiden. Und dies nicht mehr exklusiv bei Hof <strong>und</strong> im klerikalen Adel,<br />
sondern zunehmend massenhaft. Dabei bleibt e<strong>in</strong>e Frage offen: Jeder weiß aus eigener<br />
Erfahrung wie heikel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft der Grad ist, sich von Anderen zu unterscheiden.<br />
Zu kraß darf's nicht se<strong>in</strong>, weil dann der Grad von Ablehnung steigt. Gleichheit,<br />
Angeglichenheit ist e<strong>in</strong> Stück sozialer Mitteilung. Wo aber beg<strong>in</strong>nt die akzeptable <strong>und</strong><br />
zugleich tolerierte Differenz?<br />
Anstandsbücher lehren ja gerade die diffizile Kunst des angemessenen Auftretens, des<br />
Redens, des Kleidens etc. E<strong>in</strong> Handwerker oder kle<strong>in</strong>er Kaufmann konnte ke<strong>in</strong>e leon<strong>in</strong>en<br />
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