Juni 2007 - Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs
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fachbericht<br />
Mag. Karin Lobner<br />
k.lobner@chello.at<br />
Eine Tagung, in <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Schulprävention bis zur Therapiemotivation<br />
und von gesellschaftlichen Einflüssen bis zur Angehörigenunterstützung<br />
das Thema Essstörung umfassend beleuchtet<br />
wird.<br />
Immerhin sind Essstörungen die häufigste psychische Erkrankung<br />
bei jungen Frauen. Und noch viel mehr Frauen sind <strong>der</strong> Meinung,<br />
dass ihr aktuelles Gewicht über dem Idealgewicht liegt (82 %),<br />
83 % <strong>der</strong> Frauen mit einem durchschnittlichen Alter von<br />
47 Jahren sind mit ihren Körperproportionen unzufrieden, und 80<br />
% geben an, dass ihr Selbstwert von ihrem Gewicht abhängig ist.<br />
Und das, obwohl die durchschnittliche Klei<strong>der</strong>größe nicht 36 und<br />
nicht einmal 38 ist, son<strong>der</strong>n 40. Die Zahlen machen deutlich,<br />
dass wir die omnipräsenten Schönheits- und Schlankheitsstandards<br />
bereits aufgenommen und internalisiert haben (Beate<br />
Wimmer-Puchinger).<br />
Susie Orbach, die „Grande Dame“ in <strong>der</strong> Erforschung von Essstörungen,<br />
spricht vom „virus of the body hatred“ und dass wir<br />
ein Gegenmittel brauchen, um diesen Virus zu bekämpfen.<br />
In den USA zeichnet sich bereits ein bizarrer Trend ab: Junge<br />
Mütter entbinden im 6. Schwangerschaftsmonat per Kaiserschnitt,<br />
um sich die darüber hinausgehende Gewichtszunahme<br />
zu ersparen. Dass das Figurthema nicht einmal vor jungen<br />
Müttern haltmacht, zeigt sich in Klatsch-und-Tratsch-Gazetten,<br />
die von Models berichten, die doch gerade erst entbunden<br />
haben und bereits auf fast mysteriöse Weise so schlank sind<br />
(manche sogar schlanker) als vor <strong>der</strong> Schwangerschaft. Diesen<br />
„Vorbil<strong>der</strong>n“ nachzueifern, kann sich auch nachhaltig auf die<br />
Mutter-Kind-Beziehung auswirken. Denn statt sich ihrem Baby zu<br />
widmen und dadurch die wichtige Phase des „Bondings“ zu erleben,<br />
stehen schlankheitssüchtige Amerikanerinnen im Fitnessstudio.<br />
Die Prävention sieht Niva Pirvan (Toronto) im Schulsystem. Dabei<br />
geht es nicht nur um verstärkte Bewegung, um zu einem besseren<br />
Körperbewusstsein zu gelangen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Schuluniform<br />
wird plötzlich wie<strong>der</strong> Wert abgewonnen. Die Schuluni-<br />
Problemzone: wenn Essen zur<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung wird<br />
Tagungsauszug zur 4. Wiener Essstörungsenquete,<br />
26. Februar <strong>2007</strong><br />
form soll alltägliche Bewegung möglich machen und so ge- Lesen Sie weiter auf Seite 13.<br />
schnitten sein, dass man auch mit „normaler“ Figur gut darin<br />
aussieht. Alles, was <strong>der</strong> aktuelle Modetrend vielleicht nicht erfüllen<br />
kann. Darüber hinaus soll sie, mangels sexy Erscheinung, vor<br />
Übergriffen schützen. Aber es braucht auch starke weibliche<br />
„role models“, die als Identifikationsfigur dienen.<br />
Wenn aus dem Nacheifern eines gängigen Schlankheitsideals<br />
eine Essstörung wird, ist <strong>der</strong> Weg raus oft lang und schwierig.<br />
Anfangs wird das Problem negiert, und wird die Betroffene darauf<br />
angesprochen, sind Wutausbrüche nicht selten. Es hat dann<br />
keinen Sinn, auf Konfrontation zu gehen und sich auf einen<br />
Machtkampf einzulassen.<br />
Auch die Rolle <strong>der</strong> Angehörigen darf nicht übersehen werden.<br />
Bärbel Wardetzki schil<strong>der</strong>t, warum diese so schwer als Partner für<br />
Prävention und Therapie zu gewinnen sind.<br />
Die Lösung ist scheinbar klar: Wenn die Tochter wie<strong>der</strong> isst, dann<br />
wird alles wie<strong>der</strong> normal, dadurch wird das Essen zum Machtfaktor.<br />
Die Tochter wird mit ihrer Dünnheit zum Zeichen und<br />
Symptom <strong>der</strong> Familienproblematik. Aufopferndes Helfen wird zur<br />
falsch verstandenen Unterstützung und zur Schuldfalle :„Wir sind<br />
schlechte Eltern." Die Tochter muss gesund werden, um die<br />
Eltern von ihrer Schuld zu befreien. Wenn die Eltern beginnen,<br />
über sich selbst zu sprechen, und wenn sie sich berichten trauen,<br />
was mit ihnen los ist, und nicht ausschließlich die Erkrankung<br />
<strong>der</strong> Tochter Thema ist, dann ist ein wesentlicher Therapieerfolg<br />
geglückt.<br />
Schwieriger in <strong>der</strong> Abgrenzung zur Essstörung ist das Übergewicht.<br />
Man unterscheidet zwischen Übergewicht mit und ohne<br />
Binge Eating Disor<strong>der</strong> (Essanfall). Allerdings versucht man die<br />
Gruppe <strong>der</strong>jenigen zu identifizieren, die von einer Essstörungstherapie<br />
profitieren könnten. Auch bei Kin<strong>der</strong>n hat das Vorliegen<br />
einer Adipositas per se keine Berechtigung für eine psychiatrische<br />
Behandlung.<br />
Allerdings ist es bei <strong>der</strong> Behandlung von kindlicher Adipositas<br />
einblicke 02/07. Zeitschrift des <strong>Verband</strong>es <strong>der</strong> <strong>Ernährungswissenschafter</strong> <strong>Österreichs</strong> 12