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Noten oder Berichte? Die schulische Beurteilungspraxis ... - Hamburg

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Seite 194 Grundschulkinder als Experten für Lernberichte<br />

dass er Wörter wie beispielsweise „kurios“, wenn er sie nicht genau versteht, eben nachfragt.<br />

Dass Texte über ihn nur von ihm nahestehenden Menschen gelesen werden, ist Yang wichtig.<br />

Das betrifft zunächst seine Mutter: „Ja, manchmal muss ich übersetzen. So komische Wörter,<br />

die richtig geschrieben worden sind, aber meine Mutter kann das nicht lesen.“ Sehr genau hat<br />

er auch ihre Reaktion auf das Berichtszeugnis wahrgenommen. Gute Zeugnisse werden mit<br />

Lob versehen und Yang genießt eine Belohnung, so z.B. zusätzliche Zeiten, in denen er<br />

spielen darf. Er benennt auch die Erwartungen, die seine Mutter an seine Leistungsfähigkeit<br />

stellt. So soll er in Mathematik zu guten Leistungen finden: „Wenn ich in Mathe so gut werde,<br />

noch besser.“ Seine Mutter gibt ihm zugleich den Weg vor, über den er zu mehr Leistung<br />

finden soll: „Du musst jeden Tag eine Stunde arbeiten und üben.“ Dass Yang sich diese<br />

Anweisungen zum Arbeitsverhalten zu eigen gemacht hat, belegt auch seine Einschätzung<br />

eigener Lernfortschritte beim Geschichten schreiben, wo er diese Arbeitsethik umgesetzt hat.<br />

Der Berichtstext ist für Yang so wichtig, dass er keinen Spott akzeptiert, den andere<br />

formulieren könnten. Er zeigt seinen Freunden, vornehmlich vietnamesischen Kindern, den<br />

Text, eben solchen, die ihm freundschaftlich verbunden sind und bei denen er sich nicht als<br />

Unterlegener fühlt. Möglicherweise spielt hierbei auch der ethnische Unterschied zwischen<br />

vietnamesischen und deutschen Kindern an der Schule eine Rolle. Anscheinend ist es so, dass<br />

die Leistungsethik von Yang von leistungsschwächeren deutschen Schülern im Sinne einer<br />

negativen Abgrenzung gedeutet <strong>oder</strong> genutzt wird. Auf die Frage, welche Kinder sich durch<br />

dieses Leistungsverhalten provoziert sehen, antwortet Yang: „Kinder aus meiner Klasse. Sie<br />

geben so an. Ich weiß es besser und so (stark betont, Anm.), ich weiß alles.“ Auch bei den<br />

vertrauten Leserinnen und Lesern seiner <strong>Berichte</strong> achtet er genau auf deren Reaktion. Yang<br />

zitiert die Reaktionen, die ihm gesagt wurden, fast wörtlich: „Gut, Yang. Du hast den Bericht<br />

gut geschafft.“<br />

<strong>Die</strong> Bedeutung der <strong>Berichte</strong> für sein eigenes Lernen wird von Yang anerkannt: Sie geben<br />

Übersicht und Zuversicht für seine weiteren Lernfortschritte. Zugleich wird im Gespräch<br />

deutlich sichtbar, dass er mit Berichtstexten und <strong>Noten</strong> Unterschiede in deren diagnostischer<br />

Qualität assoziiert. „So mit den <strong>Noten</strong> sagen sie: Yang du bist schlechter geworden, und das<br />

mag ich nicht so gerne und darum sind Berichtszeugnisse besser ... Da (bei den<br />

Berichtszeugnissen, Anm.) sagen sie, was ich noch üben soll.“ Yang erkennt also die<br />

Hinweise für sein eigenes Lernen, die ein Bericht enthält, schätzt sie und weiß sie auch zu<br />

nutzen.<br />

Befragt nach seinem Wohlbefinden in der Schule, äußert er, dass ihm der friedliche Umgang<br />

der Kinder untereinander wichtig ist. Auch Yang scheint da und dort in Konflikte verwickelt

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