Das Auge und die Rückkehr des Verdrängten in Stanley Kubricks ...

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Auch Stefan Reinecke stellt fest: „Sehen bedeutet überleben, gesehen
werden den Tod“ 28 . Dabei bezieht er sich auf eine Szene aus Full Metal
Jacket, die aus der Perspektive der Heckenschützin gezeigt wird. In diesem
Moment sehen wir die dreigliedrige Motivkette - Auge, Eros, Thanatos –
vereint, denn „zugleich aber kehrt das Weibliche zurück, die Frau, und mit ihr
der Tod.“ 29 Ständig treten die Motive miteinander in Wechselwirkung: wie
Elementarteilchen, die Kräfte aufeinander ausüben. So resultiert aus der
Betrachtung nackter Frauenkörper Energie zum Töten. In den Spinden der
Soldaten hängen Pin-up-Girls (Full Metal Jacket), der Bomberpilot blättert
während des Fluges in einer Erotikzeitschrift (Dr. Strangelove), Soldaten
bekommen vor ihrem Fronteinsatz junge Frauen zu sehen. (Paths of Glory,
Full Metal Jacket) Sexuelle Energien werden in destruktive verwandelt, und
so schließt sich stets die dreigliedrige Motivkette in Kubricks Filmen.
5. Lauter Spiegelungen
5.1 Das Auge als Spiegel der Seele
Es ist wie ein Krieg, der im Inneren der Protagonisten ausgefochten wird.
Elias formuliert es treffend, wenn er sagt: „der Kriegsschauplatz wird zugleich
in gewissem Sinne nach innen verlagert. (…) Aber die Triebe, die
leidenschaftlichen Affekte, die jetzt nicht mehr unmittelbar in den
Beziehungen zwischen den Menschen zum Vorschein kommen dürfen,
kämpfen nun oft genug nicht weniger heftig im Einzelnen gegen diesen
überwachenden Teil seines Selbst.“ 30 Kubrick illustriert die Folgen jenes
Rationalisierungsprozess, der nun schon oft erwähnt worden ist: aus der
Angst vor metaphysischen Bereichen resultiert die Verdrängung, aus der
Verdrängung die Angst vor der Rückkehr des Verdrängten. Und so werden
die Kubrickschen Protagonisten letztlich mit ihren eigenen Schreckensbildern
konfrontiert, als Spiegel ihrer Seele. The Shining ist der Film, der diese
Thematik wohl am deutlichsten repräsentiert.
Der kleine Danny und Hallorann verfügen über seherische Fähigkeiten, eben
das „Shining“. Im Verlauf des Filmes haben aber auch Wendy und Jack
Halluzinationen. Frauen, die sich in verweste Leichen verwandeln,
28
Stefan Reinecke: Es ist besser zu leben, als tot zu sein: Full Metal Jacket. In Stanley Kubrick. Red. Dieter
Bertz. Berlin 1999, Seite 230
29
Ebd., Seite 220
30
Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, Seite 330-331