Das Auge und die Rückkehr des Verdrängten in Stanley Kubricks ...

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Schließlich darf das Motiv des Voyeurismus nicht in jenem Film fehlen,
dessen Titel doch schon so bezeichnend ist: Eyes Wide Shut. Wir erleben
nicht nur ein voyeuristisches Insert, in dem Alice ihr Kleid fallen lässt. Ständig
werden Bilder gezeigt, die offensichtlich eine voyeuristische
Rezeptionshaltung voraussetzen. Was Kubrick an Arthur Schnitzlers
Traumnovelle fasziniert haben dürfte, ist die Masse an Leitmotiven, die die
Erzählung durchziehen: die Verbindung von Tod und Sexualität, Nacktheit
und Geheimnis, Lust und Betrug. Die gesamte Thematik ist mit der
Wahrnehmung über die Sinne – im Besonderen über das Auge – verbunden.
Das „ausgelieferte Auge“ findet sich hier in den Visionen Bills. Diese
resultieren aus seiner Eifersucht und illustrieren die Vorstellung, ein anderer
Mann könne mit seiner Frau schlafen. Eyes Wide Shut ist ein filmischer
Diskurs über das Sehen, über den Wunsch nach vollständiger Transparenz
der Dinge, gleich dem Wunsch der Anhänger der Aufklärung. Die Paradoxie
des Titels „weit geschlossene Augen“ verweist auf das Wechselspiel von
Blick und Vision, von Sehen und Nicht-Sehen, von Gezeigt-Bekommen und
Verhüllt-Werden, das den gesamten Film durchzieht. Die Wahrnehmung wird
über das Maskenmotiv vorangetrieben. Denn die Verhüllung eines Gesichts
schürt das Feuer der Phantasie und das Verlangen der Enthüllung.
Gleichzeitig aber geht mit dem Wissensdurst auch die Gefahr einher, sich in
seiner Phantasie zu verirren. Das Sein verliert sich im Schein. Bill wird von
einer unstillbaren Neugierde getrieben, so dass ihn der Blick aus den Augen
der Toten in der Morgue, „dieses ferne und irrlichternde Starren aus
halbverhangenen Lidern – eyes wide shut“ 71 letztlich in das
Leichenschauhaus führt. Dort blickt er leibhaftig in die „weit geschlossenen
Augen“. Dadurch hat er jedoch nicht das vermeintliche Geheimnis gelöst.
Ziegler behauptet, die Opferbereitschaft sei lediglich eine Inszenierung
gewesen und die Tote sei nicht dieses Mädchen, sondern jenes, welches auf
seiner Party gewesen sei. Mit Bill bleibt auch der Zuschauer im Ungewissen,
kann nicht mehr zwischen Sein und Schein differenzieren.
Diese weit geschlossenen Augen der Toten sind eine Form des Selbstzitats,
wie sie Bleicher beschreibt. Sie verweisen zurück auf die weit aufgerissenen
Augen des im Eis erstarrten Jack aus The Shining und auf die weit
71 Andreas Kilb: Die nackten Masken: Eyes Wide Shut. In: Stanley Kubrick. Red. Dieter Bertz. Berlin 1999,
Seite 233