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Das Auge und die Rückkehr des Verdrängten in Stanley Kubricks ...

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außerhalb der Kamera, <strong>und</strong> der darauf folgende Schnitt zeigt ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

nächsten Inkarnationsstufe. Wie das „<strong>Auge</strong>“ HALs sche<strong>in</strong>t auch der Blick<br />

Bowmans e<strong>in</strong>e Macht zu haben – wenn auch e<strong>in</strong>e gegenläufige. So<br />

repräsentiert Bowmans Blick das „Lebensspendende“, HALs h<strong>in</strong>gegen den,<br />

der den Tod herbeiführt. „Die Sprengung der Raum-Zeit-Logik durch<br />

Kameraauge <strong>und</strong> Schnitt wird <strong>in</strong> der Szene selbst Gegenstand der<br />

Darstellung, personifiziert <strong>in</strong> Bowman <strong>und</strong> der Macht se<strong>in</strong>es Blickes.“ 53 Im<br />

tödlichen Moment ruft Bowman noch <strong>die</strong> letzte Inkarnation <strong>in</strong>s Leben. Kubrick<br />

sche<strong>in</strong>t andeuten zu wollen, dass durch den Blick <strong>die</strong> Grenzen der Zeit <strong>und</strong><br />

mit ihr auch der Tod überw<strong>und</strong>en worden s<strong>in</strong>d. Im mittelalterlichen<br />

Verständnis, <strong>in</strong> dem das Leben als Kreisbewegung dargestellt wird, geht<br />

Bowmans Tod mit der Geburt <strong>des</strong> Sternenk<strong>in</strong><strong>des</strong> e<strong>in</strong>her. Der Blick <strong>des</strong><br />

Embryos auf den Erdball er<strong>in</strong>nert an das göttliche <strong>Auge</strong>, dem hier e<strong>in</strong>e<br />

mythische, also e<strong>in</strong>e völlig neue Bedeutung zukommt. <strong>Das</strong> gänzlich neue<br />

Sehen, das hier geboren wurde, hebt den Gegensatz zwischen Vernunft <strong>und</strong><br />

Irrationalem <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem utopischen Schlussbild auf. Im Gegensatz zu <strong>Kubricks</strong><br />

gängiger Darstellung <strong>des</strong> Blickes, wie etwa dem wahns<strong>in</strong>nigen, bösen oder<br />

ängstlichen, ist <strong>die</strong>ser Blick neu, e<strong>in</strong>malig <strong>und</strong> mythisch. „An <strong>die</strong> Stelle <strong>des</strong><br />

forschenden, durchdr<strong>in</strong>genden Blicks der totalisierenden Intelligenz tritt e<strong>in</strong><br />

mythisches, d.h. h<strong>in</strong>gegebenes, überwältigtes staunen<strong>des</strong> Sehen (…) – der<br />

große Blick <strong>des</strong> k<strong>in</strong>dlichen <strong>Auge</strong>s im Gegensatz zum falsch vergöttlichten<br />

toten <strong>Auge</strong> <strong>des</strong> Computers.“ 54<br />

Im Endeffekt verweisen sämtliche <strong>Auge</strong>n- <strong>und</strong> Blickmotive auf nichts anderes<br />

als den Film bzw. das K<strong>in</strong>o selbst, s<strong>in</strong>d also selbstreferentiell. <strong>Kubricks</strong> Filme<br />

haben ke<strong>in</strong>e moralische Instanz, zeigen <strong>die</strong> Bilder ohne Zensur <strong>und</strong> bieten<br />

dem Zuschauer ke<strong>in</strong>e Identifikationsfiguren, da das „Gute“ sich oft mit dem<br />

„Bösen“ paart. Den Gr<strong>und</strong> dafür nennt Kirchmann: „Die abgründige<br />

Fasz<strong>in</strong>ation ist als e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> ästhetische nicht mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en rationalen oder<br />

moralischen Diskurs überführbar, sondern verweist auf <strong>die</strong> dem K<strong>in</strong>o<br />

zugr<strong>und</strong>e liegende re<strong>in</strong>e Sehlust, <strong>die</strong> hier zum Sehzwang wird.“ 55<br />

53 Kay Kirchmann: <strong>Das</strong> Schweigen der Bilder, Seite 173<br />

54 Hans-Thies Lehmann, zitiert nach Kay Kirchmann: <strong>Das</strong> Schweigen der Bilder, Seite 173<br />

55 Kay Kirchmann: <strong>Das</strong> Schweigen der Bilder, Seite 152

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