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Das Auge und die Rückkehr des Verdrängten in Stanley Kubricks ...

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26<br />

sublimieren. Die Seh-Passivität, <strong>die</strong> hier notfalls gewaltsam anerzogen<br />

werden muss, wird bezeichnenderweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>osaal vollzogen. Was<br />

weiterh<strong>in</strong> auffällt ist, dass das vorläufige Gel<strong>in</strong>gen der Konditionierung auf<br />

e<strong>in</strong>er Bühne demonstriert wird. Wie e<strong>in</strong> Pawlow’scher H<strong>und</strong> kniet Alex auf<br />

allen Vieren. Se<strong>in</strong>e Reaktion auf <strong>die</strong> gewalttätige <strong>und</strong> sexuelle Inszenierung<br />

mündet zunächst <strong>in</strong> dem Versuch, den Trieb auszuleben. In dem Moment, <strong>in</strong><br />

dem e<strong>in</strong>em Blick aber e<strong>in</strong>e Berührung folgen soll, überkommt Alex der pure<br />

Ekel. Man hat ihn zu jenem Uhrwerk gemacht, auf das der Titel anspielt. Zum<br />

e<strong>in</strong>en unterstützt das Serum während der Kur jene Ablehnung, zum anderen<br />

aber erlebt Alex gefesselt „Sehlust als Sehzwang.“ 61 Und eben das ist <strong>die</strong><br />

dem K<strong>in</strong>o zugr<strong>und</strong>e liegende Fasz<strong>in</strong>ation der Sehlust, <strong>die</strong> hier zum<br />

Sehzwang wird. Im K<strong>in</strong>o kann der Zuschauer ohne gesellschaftliche<br />

Sanktionen se<strong>in</strong>en Voyeurismus ausleben. Dabei nimmt er <strong>die</strong> ideale<br />

Perspektive e<strong>in</strong>, da er selbst im dunklen K<strong>in</strong>osaal nicht gesehen werden<br />

kann. Wir, <strong>die</strong> Zuschauer, werden zum allsehenden, allwissenden <strong>Auge</strong> –<br />

gedoubelt vom Kameraauge. Wir befriedigen als Voyeure im Sehvorgang<br />

unsere Triebe, ohne dabei selbst agieren zu müssen. „Dar<strong>in</strong> liegt <strong>die</strong><br />

Allmacht, zugleich aber auch <strong>die</strong> Ohnmacht <strong>des</strong> K<strong>in</strong>ozuschauers.“ 62 Bildhaft<br />

dargestellt ist das unsere Situation: der gefesselte Alex, der zum Voyeur<br />

wird. Der Zuschauer kann den Bann der Passivität ebenso wenig aufheben<br />

wie Alex nach der Ludovico-Kur. Se<strong>in</strong>e Konditionierung ist <strong>die</strong> unsere.<br />

<strong>Stanley</strong> Kubrick beherrscht das Spiel mit der Angst-Lust <strong>des</strong> Zuschauers: er<br />

zeigt <strong>die</strong> Gewalt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Filmen ohne e<strong>in</strong>en moralischen Filter, se<strong>in</strong>e Filme<br />

„s<strong>in</strong>d ihrer Form nach selbst zutiefst mechanistisches K<strong>in</strong>o“ 63 . Mit se<strong>in</strong>en<br />

Bildern übt er e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>ogewalt auf den Zuschauer aus <strong>und</strong> verweist damit<br />

zurück auf <strong>die</strong> Gewaltdarstellung <strong>in</strong> den Filmen. Im Gr<strong>und</strong>e bezieht er den<br />

Zuschauer e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem er se<strong>in</strong>e Perspektive mimt. Angefangen hat er damit<br />

1950, als er das Portrait <strong>des</strong> Mittelgewichtboxers Walter Cartier selbst aus<br />

der Hand mit e<strong>in</strong>er 35-mm-Kamera dreht. Er stellt <strong>die</strong> Gewalt, <strong>die</strong> Menschen<br />

ausüben <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ander zufügen, so unvermittelt <strong>und</strong> ungeschm<strong>in</strong>kt wie nur<br />

möglich dar. Die Fortsetzung <strong>die</strong>ses Stils folgt <strong>in</strong> der Boxkampfszene von<br />

61<br />

Kay Kirchmann: <strong>Das</strong> Schweigen der Bilder, Seite 150<br />

62<br />

Ebd., Seite 155<br />

63<br />

Werner C. Barg: Die Mechanismen der Gewalt – <strong>Stanley</strong> <strong>Kubricks</strong> K<strong>in</strong>o-Visionen. In: K<strong>in</strong>o der Grausamkeit –<br />

<strong>die</strong> Filme von Sergio Leone, <strong>Stanley</strong> Kubrick, David Lynch, Mart<strong>in</strong> Scorcese, Oliver Stone, Quent<strong>in</strong> Tarant<strong>in</strong>o:<br />

Werner C. Barg/ Thomas Plöger. Frankfurt 1996, Seite 37

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