Das Auge und die Rückkehr des Verdrängten in Stanley Kubricks ...

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5.2 Der Doppelgänger als Spiegel der Seele
Die Doppelgängerthematik ist in Kubricks Filmen stets präsent. Es ist ein
Motiv aus der Romantik, das aus dem Zweifel des Menschen an der Einheit
seiner Person resultiert. Die Dämonisierung von Tod und Erotik führt zu einer
Spaltung des Ichs, die das Motiv des Doppelgängers symbolisiert.
In The Shining ist der Doppelgänger das Resultat einer Projektion, also ein
optisches Phänomen. Und auch nur Dannys Doppelgänger kann ein
Schutzengel sein, während alle anderen Figuren des Films ein unheimliches
Double haben. Grady ist das Double von Jack, der ihn auffordert, seine
Familie zu ermorden und damit Jacks verdrängte Triebe verkörpert. Ob nun
als optisches Phänomen, oder als fiktiv-wahre Figur - generell lässt sich im
Bezug auf Kubricks Filme feststellen, dass der Doppelgänger das libidinös
handelnde Gegenüber des Protagonisten darstellt. Dieser ist –
gesellschaftlich konditioniert – nicht in der Lage, seinen Trieben freien Lauf
zu lassen. Was in einer Person verborgen ist, tritt in ihrem Doppelgänger,
ihrer Spiegelung zutage. „Der Feind des Kubrickschen Protagonisten ist
zugleich Verdopplung wie Negation des eigenen Ichs...“ 35 C.G. Jung nannte
diese dunkle Seite den Schatten. In Lolita wagt beispielsweise Humbert
Humbert es nicht, seine Liebe zu Lolita öffentlich zu zeigen, während Clare
Quilty hemmungslos in Erscheinung tritt.
In Eyes Wide Shut erleben wir eine Spiegelung anderer Art: als Bill erfährt,
dass seine Frau beinahe die Ehe für einen ihr unbekannten Mann aufs Spiel
gesetzt hätte, ist er fassungslos. Kurz darauf wird er zu einem Todesfall
gerufen. Die Tochter des Verstorbenen gesteht ihm seine Liebe –
bezeichnenderweise im Zimmer des Toten – obgleich auch sie ihn nicht
wirklich kennt. Als dann der Verlobte dieser Frau auftaucht, der Bill ähnlich
sieht, spiegelt das Paar Bill und seine Frau. Für den Rest des Films
beschäftigt sich Bill mit seinem Schatten.
Letztlich ist die Spiegelung des Ichs in Form eines Doppelgängers „auch eine
besondere Form der Wahrnehmung: die Welt existiert, insofern sie sich im
anderen Ich spiegelt, und sie erlischt, wenn es diesen Spiegel nicht mehr
gibt.“ 36 Das Motiv steht auch stets als Vorbote für Tod oder Gewalt. So sind
viele Mordtaten Kubrickscher Protagonisten der Versuch, sich vom
35 Ebd., Seite 116
36 Georg Seßlen/ Fernand Jung: Stanley Kubrick und seine Filme, Seite 40