VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
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Die „nichtarischen" Studenten an den deutschen Hochschulen 203<br />
Die Beteiligung Bormanns in Mischlingsangelegenheiten, insbesondere bei allen<br />
Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen, wurde durch einen Erlaß Hitlers am<br />
1. April 1944 noch einmal ausdrücklich gesichert. Ministerielle Ausnahmen bedurften<br />
danach in jedem Falle seiner schriftlichen Zustimmung 161 .<br />
In Heidelberg konnte daraufhin im Sommersemester 1944 eine Historikerin<br />
halbjüdischer Herkunft - ohne Wissen des Rektors - nur durch die Zusammenarbeit<br />
von Dekan, Fakultät und Studenten promoviert werden 162 , während in Freiburg<br />
in den Jahren 1943 und 1944 drei Zulassungen - darunter eine zur Promotion<br />
- jedes Mal erst dadurch erwirkt wurden, daß Magnifizenz Süss nach der rigorosen<br />
Ablehnung durch die Gauleitung eine positive Entscheidung des REM herbeiführte<br />
163 . In einem weiteren Fall erteilte die Gauleitung in Lüneburg einer Abiturientin<br />
(„Mischling zweiten Grades") die Erlaubnis zum Studium der Physik<br />
oder der Chemie. Zuvor hatte sie freilich ein Gutachten der Ärztekammer des<br />
Gaues Ost-Hannover angefordert 164 , welches nach seinem Inhalt und Stil ein so<br />
charakteristisches Beispiel ist <strong>für</strong> die primitiven rassenbiologischen Maßstäbe wie<br />
<strong>für</strong> die bekannte Abneigung der Nationalsozialisten gegen „Intellektuelle" 166 , daß<br />
es hier auszugsweise zitiert werden soll. Es hieß darin u. a. über den Vater der<br />
Antragstellerin:<br />
„Äußerlich kann er seine jüdische Abstammung nicht verleugnen, denn seine<br />
körperlichen Merkmale sind rein jüdisch. In der Art, sich zu geben, hat er allerdings<br />
kaum etwas Jüdisches. Er ist ein ruhiger und besonnener Mensch."<br />
Die Mutter wurde als „eine typische Intellektuelle" geschildert, „die durch ihre<br />
Ehe mit dem Halbjuden <strong>für</strong> unsere nationalsozialistische Weltanschauung verloren<br />
ist". Über die Bewerberin selbst schrieb der Arzt:<br />
„Zusammenfassend handelt es sich . . . um einen Mischling vorwiegend von ostischem<br />
Typ mit deutlich jüdischem bzw. orientalischem Einschlag. — Das Mädchen<br />
macht einen etwas unsicheren, man kann wohl sagen disharmonischen Eindruck<br />
wie jemand, der mit sich selbst nicht recht zufrieden ist bzw. mit sich selbst schwer<br />
ins reine kommen kann. Den Eindruck einer Kämpfernatur macht sie nicht. . . .<br />
Der Analogieschluß vom äußerlichen Erscheinungsbild auf die charakterlich-seelische<br />
Seite liegt nahe. Zumindest ist aber infolge der Rassenmischung eine innere<br />
Unausgeglichenheit — um nicht zu sagen ein Gespaltensein — vorhanden. Es dürfte<br />
doch selbstverständlich sein, daß [sie sich] der Milieu-Einwirkung ihres halbjüdischen<br />
Vaters und aller Konsequenzen, die sich dabei <strong>für</strong> sie und ihre Umgebung<br />
ergeben, wird schwerlich entziehen können. Sie wird auf Grund ihrer Abstammung<br />
niemals eine klare Haltung zur nationalsozialistischen Weltanschauung<br />
161 BA-R 21/448, 46, Führererlaß v. 1. 4. 1944 (Abschr.).<br />
162 Vgl. ,den Erlebnisbericht eines deutschen Professors in: Wiener Library P. III. g. (Ger-<br />
many) No. 1092/11.<br />
163 FUA XIV/2, 21: am 11. 5. 1944 studierten in Freiburg noch drei „Mischlinge ersten<br />
Grades", sämtlich Kriegsteilnehmer, und vier „Mischlinge zweiten Grades".<br />
164 FUA XIV/2, 21, Gutachten d. Ärztekammer Ost-Hannover i. Lüneburg, 21. 3. 1944.<br />
165 Vgl. auch W. Treue, Rede Hitlers vor der deutschen Presse (10. November 1938) in<br />
dieser Zeitschrift 6 (1958), S. 183, 183 Anm. 3 m. Nachw., 188.