VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
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Der Nationalsozialismus und die Danziger Opposition 153<br />
Wirtschaftspolitik gewertet. Trotz dieser „Aufklärungsarbeit" wurde im April 1936<br />
in Danzig bekannt, daß 2177 Landarbeiter mit ihrer eigenhändigen Unterschrift<br />
gegen die Zwangsabzüge <strong>für</strong> die nationalsozialistische Bauernkammer protestiert hatten<br />
37 . Diese Tatsache erregte in der Öffentlichkeit großes Aufsehen, da bekannt war,<br />
welche Widerstände in den nationalsozialistisch beherrschten Kreisen überwunden<br />
werden mußten, um eine Unterschriftensammlung dieser Art zustande zu bringen.<br />
Am 19. April war es in einer Versammlung der Fischer Zoppots zu stürmischen<br />
Szenen gekommen. Als der Kreisleiter Krogoll nicht auf die Beschwerden der Fischer<br />
über die Geschäftsgebarung der nationalsozialistischen Fischzentrale einging, sondern<br />
versuchte, eine phrasenhafte, politisch gefärbte Ansprache zu halten, konnte<br />
die Versammlungsleitung der Zwischenrufe der verärgerten Fischer nicht Herr werden.<br />
In ganz unverblümter Redeweise sagte ein Fischer dem nationalsozialistischen<br />
Vorstandstisch seine und seiner Kollegen Meinung über die „Segnungen des Nationalsozialismus",<br />
von denen die Fischerbevölkerung bislang nichts verspürt habe. Hiernach<br />
verließen die Fischer den Saal. Auch der Appell der Versammlungsleitung, es<br />
mache doch einen sehr ungünstigen Eindruck, wenn gerade am Vorabend des Geburtstages<br />
Adolf Hitlers eine solche Demonstration erfolge, machte keinen Eindruck<br />
auf die Fischer 38 .<br />
Die Hausbesitzer — soweit sie dem Nationalsozialismus gefolgt waren — lehnten<br />
in mehreren öffentlichen Versammlungen die nationalsozialistischen Praktiken ab<br />
und wandten sich einer gegnerischen Gruppe zu.<br />
Auch in der Beamtenschaft war nach den Wahlen von 1935 ein großer Stimmungsumschwung<br />
eingetreten. Sogar eine Reihe von Polizeioffizieren und anderen Polizeibeamten<br />
hatte sich heimlich bei den Oppositionsparteien als Mitglieder einschreiben<br />
lassen. Daß die Nationalsozialisten sich dieser Entwicklung bewußt waren, ging aus<br />
ihrem Verhalten gegenüber dem am 29. Juni 1935 gegründeten „Bund Nationaler<br />
Beamten" hervor. Das Vorgehen der Danziger Politischen Polizei gegen die Mitglieder<br />
des Bundes Nationaler Beamten fand bereits Mitte 1935 in der Weltpresse<br />
ein starkes Echo. Sehr beachtet wurde, daß unter den Verhafteten sich zwei Landgerichtsdirektoren,<br />
ein Landgerichtsrat, ein Staatsanwaltschaftsrat und ein Oberverwaltungsgerichtsrat<br />
a. D. befanden 39 .<br />
Am 24. August 1935 wagte ein mutiger Journalist die Aussage, daß die offizielle<br />
nationalsozialistische Auffassung eine „völlige Ahnungslosigkeit über die wirklichen<br />
Verhältnisse in Danzig" erkennen ließe. Deutlicher konnte es nicht gesagt werden,<br />
wenn man bedenkt, daß die Auffassung in der gleichgeschalteten „Danziger Neuesten<br />
Nachrichten" veröffentlicht wurde.<br />
Allerdings war man sich inoffiziell über den Stimmungsrückgang sehr wohl im<br />
klaren. Der Stimmenanteil, den die Nationalsozialisten bei einer neuen Volkstagswahl<br />
<strong>für</strong> sich schätzten, lag zwischen 18 und 35% 40 . Hitler wußte, daß ein derartiger<br />
37 Danziger Volksstimme Nr. 98 vom 27. 4. 1936.<br />
38 Danziger Volksstimme Nr. 94 vom 22. 4. 1936.<br />
39 Danziger Volksstimme Nr. 92 vom 8. 7. 1935. Siehe auch Leonhardt, a. a. O., S. 170.<br />
40 Diese Schätzimg erfolgte durch den Leiter des Statistischen Landesamts. Ein hauptsäch-<br />
Vierteljahrshefte 4/2