24.10.2012 Aufrufe

VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...

VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...

VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus 109<br />

parteipolitische Betätigung weithin als „unwissenschaftlich" und damit als suspekt<br />

galt. Statt dessen betrachteten es die Professoren als ihre Aufgabe, über den Parteien<br />

zu stehen und zu wirken. Dieser Tendenz trugen die verschiedenen „pressure<br />

groups" Rechnung, die das Ansehen der deutschen Wissenschaftler <strong>für</strong> ihre Zwecke<br />

nutzbar machen wollten, der Ostmarken- und der Elottenverein und auch der<br />

Alldeutsche Verband: Sie alle waren bemüht, ihren überparteilichen „rein patriotischen"<br />

Charakter herauszustellen, und auch im Kriege erhob der Alldeutsche<br />

Verband den Anspruch, in überparteilicher Weise klärend und vermittelnd zu wirken.<br />

Natürlich war die Heranziehung „unabhängiger" Gelehrter ganz besonders<br />

gut geeignet, einem solchen Anspruch Nachdruck zu verleihen, während umgekehrt<br />

die scheinbare Überparteilichkeit der Alldeutschen die Hemmungen zu verringern<br />

vermochte, die die Professoren normalerweise einer politischen Tätigkeit<br />

gegenüber empfanden 18 .<br />

Solch taktisches Entgegenkommen allein genügte freilich nicht, um die deutsche<br />

Professorenschaft <strong>für</strong> die Alldeutschen mobilzumachen. Dazu war nötig, daß die<br />

alldeutsche Propaganda auch einem ihr günstigen politischen Klima begegnete. Wie<br />

stand es damit in den ersten Kriegswochen? Wenn es auch in jenen Tagen noch<br />

keine Meinungsumfragen gegeben hat, so liefern doch mehrere — oft von zahlreichen<br />

Gelehrten unterzeichnete - Kundgebungen nach Kriegsausbruch wertvolle<br />

Aufschlüsse über die in ihren Reihen vorherrschende politische Stimmung.<br />

Von diesen Manifesten ist das berühmteste der sogenannte „Aufruf der 93" von<br />

Anfang Oktober 1914, den U. v. Wilamowitz verfaßt hatte und der binnen kurzem<br />

von der überwältigenden Mehrheit der deutschen Universitätsprofessoren unterschrieben<br />

wurde 19 . An konkreten außenpolitischen Zielen bot er freilich nichts,wenn<br />

man von der Hervorkehrung des Verteidigungscharakters des „aufgezwungenen"<br />

„Daseinskampfes" absieht. Er ist vielmehr charakteristisch <strong>für</strong> die Unbestimmtheit,<br />

die in der politischen Atmosphäre der ersten Kriegswochen — nicht nur unter den<br />

Professoren — vorwaltete 80 , und hat mit der gleichzeitig herausgekommenen Claß-<br />

Denkschrift eigentlich nur den Ton moralischer Entrüstung gemeinsam, mit dem<br />

er der feindlichen Kriegspropaganda entgegentrat und sich zur Einheit von deutscher<br />

Kultur und deutschem „Militarismus" bekannte.<br />

Ein Blick auf die sonstige - überreiche - Professorenpublizistik der ersten Kriegs-<br />

18 Claß-Denkschrift, S. 5. Claß, Strom, S. 157, 266, 561, 595.<br />

18 Abgedruckt in: IMW, Jg. IX., Sp. 275. Vgl. auch D. Schäfer, Mein Leben, 1926, S. 167,<br />

u. H. Wehberg, Wider den Aufruf der 95, 1922. Ähnliche Universitätserklärungen siehe bei<br />

H. Kellermann, Der Krieg der Geister, 1915, S. 87. Der Schweizer Karl Barth brach nach dem<br />

Aufruf mit der liberalen Theologie seiner deutschen Kollegen (Vgl. J. F., Karl Barth in Hannover,<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. I. 1957.)<br />

20 Unbestimmtheit soll hier so viel bedeuten wie: Fehlen einer politischen Zielsetzung, jedoch<br />

soll damit nicht behauptet werden, daß sich die sog. „Ideen von 1914" einer geistesgeschichtlichen<br />

Analyse entzögen, wie sie H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland,<br />

1955, S. 175 ff. unternommen hat. — Daß man schließlich auch innerhalb der Professorenschaft<br />

der Literatur über die „Ideen von 1914" müde wurde, zeigt O. Hoetzschs Mahnruf vom<br />

Januar 1916 nach „Weltpolitischer Konzentration" (in: Politik im Weltkrieg, 1917, S. 156ff.).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!