VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
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Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus 119<br />
Trotzdem kam es darüber zu keiner tiefergehenden Verstimmung zwischen Delbrück<br />
und Bethmann, zumal Delbrück anerkannte, daß der Zeitpunkt <strong>für</strong> eine<br />
öffentliche Kriegszieldiskussion noch nicht gekommen war 63 . Er blieb weiter in Verbindung<br />
mit dem Reichskanzler und setzte seine Werbung gegen die Alldeutschen<br />
in vertrautem Kreise fort 64 .<br />
Schon im Dezember 1914 entwarf er Denkschriften zur belgischen und zur polnischen<br />
Frage 66 , die er in engerem Kreise kursieren ließ. Sie stellen beide wichtige<br />
Meilensteine in der Entwicklung seiner Kriegszielkonzeption dar. Die Belgien-<br />
Denkschrift richtete sich zwar ausdrücklich gegen alldeutsche Pläne, wie sie ihm<br />
mit der Claß-Denkschrift mittlerweile bekannt geworden waren 66 , kam ihnen aber<br />
in mancher Hinsicht auch etwas entgegen.<br />
Delbrück lehnte hier Vorschläge <strong>für</strong> die Maas als deutsche Grenze gegen Belgien<br />
ab, da ihre Verwirklichung Deutschland nach außen und innen aufs höchtse kompromittieren<br />
würde, zumal sich die wallonische Minderheit auf die Dauer doch nicht<br />
von dem politischen Leben des Reiches würde ausschließen lassen. Da<strong>für</strong> - und das<br />
mochte <strong>für</strong> Annexionisten diskutabel sein - sollte Belgien aber völlig entwaffnet<br />
werden, eine Maßnahme, die - wie Delbrück hoffte - das Land auch ohne entsprechende<br />
Vertragsbestimmungen über kurz oder lang deutschem Einfluß öffnen<br />
würde - ohne daß solch eine Entwicklung ganz Europa gegen das Reich auf den<br />
Plan gerufen hätte. Delbrück verfolgte seinen Gedanken nicht weiter, zumal sein<br />
Bekanntwerden, wie er glaubte, als Beweis <strong>für</strong> das Fehlen einer deutschen Annexionsabsicht<br />
gegenüber Belgien das belgische Faustpfand nur entwerten konnte 67 .<br />
Gerade in diesem Punkte sollte er bald seine Meinung ändern.<br />
Ähnlich wie der Belgienentwurf so ist auch Delbrücks etwa gleichzeitige Polen-<br />
Denkschrift in mancher Hinsicht ein Zeugnis <strong>für</strong> den Einfluß, den die annexionisti-<br />
Die militärische Zensur durch Generaloberst von Kessel fertigte Delbrück „in dem Sinne bekannter<br />
Äußerungen Vater Blüchers" ab (Delbrück an seinen Vetter Clemens v. Delbrück,<br />
7. X. 1914, DB).<br />
83 Delbrück an E. Bernstein, 4. XI. 1914, DB, und an G. Müller, 29. XII. 1914, DB.<br />
84 Delbrück an Lenz, 13. XII. 1914, DB. Delbrück wurde während seiner Besprechungen<br />
mit dem Reichskanzler und seinem Vetter C. v. Delbrück die Schwierigkeit der Stellung der<br />
politischen Leitung erst wirklich bewußt: „. . . Es wird ihnen [Bethmann und T. Delbrück]<br />
sehr schwer werden, ihre Auffassungen nach oben wie nach unten durchzusetzen. Nach oben<br />
noch leichter, da mir der Kanzler versicherte, daß auch Falkenhayn ein sehr verständiger<br />
Mann sei. Aber die öffentliche Meinung!! Man kann ihrer nicht entbehren und darf ihr doch<br />
keinen Einfluß gewähren. Wird Bethmann das fertigbringen? ..."<br />
66 H. Delbrück, Die Maaslinie oder die Entwaffnung Belgiens, o. D. masch.geschr., dazu<br />
Anschreiben an nicht genannte Kollegen vom 16. XII. 1914; ferner: Über die Zukunft Polens,<br />
masch. geschr. o. D., eine ungefähre Datierung ergibt sich aus dem Text, in dem Delbrück auf<br />
seine Debatte mit dem russischen Historiker Mitrofanoff „vor einigen Monaten" (sie fand kurz<br />
vor Kriegsausbruch statt) hinweist. Denkschriften und Anschreiben DK.<br />
88 Hinweis darauf in Brief an G. Müller, 29. XII. 1914, DB. Dort wird die Belgiendenkschrift<br />
als „vor einiger Zeit" abgefaßt erwähnt, die Alldeutschen werden als der zubekämpfende<br />
innere Feind hingestellt.<br />
87 Delbrück an G. Müller, 29. XII. 1914, DB.