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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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Manfred Kittel/Horst Möller: <strong>Die</strong> Benesˇ-<strong>Dekrete</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> 551<br />

völkisches Konzept <strong>der</strong> Abkapselung o<strong>der</strong> Entfernung „rassisch fremde[r] Elemente“<br />

ersetzen zu müssen 41 .<br />

<strong>Die</strong> unterschiedlichen Zielsetzungen des Nationalsozialismus <strong>im</strong> Westen <strong>und</strong><br />

Osten hatten Folgen für das Los <strong>der</strong> deutschen Sprachmin<strong>der</strong>heiten. Im Westen<br />

wurde einstweilen nur Eupen-Malmedy annektiert <strong>und</strong> „he<strong>im</strong> ins Reich“ geholt,<br />

während Hitler aus Rücksicht auf Vichy-Frankreich bzw. Mussolini <strong>im</strong> Falle Elsaß-<br />

Lothringens 1940 <strong>und</strong> Südtirols 1943 auf eine förmliche Annexion verzichtete.<br />

Allerdings kam es <strong>im</strong> frankophonen Teil Lothringens zur <strong>Vertreibung</strong> von<br />

100 000 französischen Bauern; <strong>im</strong> Elsaß wurden vor allem Tausende Angehörige<br />

<strong>der</strong> frankophilen Bourgeoisie zusammen mit an<strong>der</strong>en „unerwünschten Elementen“<br />

ausgewiesen 42 . Im Rahmen einer mehr o<strong>der</strong> weniger „verschleierten Annexion“<br />

43 erfolgte zudem <strong>die</strong> faktische Anglie<strong>der</strong>ung Elsaß-Lothringens an <strong>die</strong><br />

benachbarten nationalsozialistischen Gaue. In Nordschleswig wurde nicht einmal<br />

<strong>die</strong>ser Schritt vollzogen, weil Hitler den skandinavischen Völkern in einem Großgermanischen<br />

Reich <strong>der</strong> Zukunft eine Rolle als Juniorpartner zuweisen wollte;<br />

den möglichst vorbildlich mit ihren dänischen Nachbarn kooperierenden deutschen<br />

Nordschleswigern kam dabei potentiell eine Brückenfunktion zu.<br />

<strong>Die</strong> in eine ganz an<strong>der</strong>e Richtung gehenden rassistischen Visionen für den<br />

Osten faßte Heinrich H<strong>im</strong>mlers „Reichskommissariat für <strong>die</strong> Festigung deutschen<br />

Volkstums“ <strong>im</strong> Juli 1941 <strong>im</strong> „Generalplan Ost“ zusammen 44 : Innerhalb von 30 Jahren<br />

sollten Ostpolen, das Baltikum, Weißruthenien <strong>und</strong> Teile <strong>der</strong> Ukraine durch<br />

Deutsche besiedelt, <strong>die</strong> Mehrheit <strong>der</strong> dort lebenden, nicht „gutrassigen“ einhe<strong>im</strong>ischen<br />

Bevölkerung nach Westsibirien vertrieben werden. Dutzende von Millionen<br />

Menschen wären nach <strong>die</strong>sen bürokratischen Planspielen „verschrottet“, „verstreut“<br />

o<strong>der</strong> zumindest „rassisch ausgelaugt“ worden. <strong>Die</strong> „tschechische Frage“ sollte durch<br />

<strong>die</strong> Liqui<strong>die</strong>rung des tschechischen Volkes als ethnische Einheit gelöst werden.<br />

Etwa <strong>die</strong> Hälfte <strong>der</strong> den NS-Rassekriterien genügenden tschechischen Bevölkerung<br />

sollte germanisiert, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Teil in den Osten ausgesiedelt o<strong>der</strong>, wie es in entsprechenden<br />

Dokumenten hieß, „vernichtet“ bzw. „ausgemerzt“ werden 45 . <strong>Die</strong> Realisierung<br />

<strong>die</strong>ser Pläne mußte <strong>die</strong> NS-Führung mit Rücksicht auf <strong>die</strong> kriegswirt-<br />

41 Martin Broszat, 200 Jahre deutsche Polenpolitik, München 1963, S. 214 u. S. 219 (Zitat); vgl.<br />

auch <strong>der</strong>s., Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 18 ff., sowie Bruno<br />

Wasser, H<strong>im</strong>mlers Raumplanung <strong>im</strong> Osten. Der Generalplan Ost in Polen 1940–1944, Basel<br />

1993.<br />

42 Lothar Kettenacker, Nationalsozialistische Volkstumspolitik <strong>im</strong> Elsaß, Stuttgart 1973, S. 249 u.<br />

S. 250 ff.<br />

43 Ebenda, S. 51.<br />

44 Vgl. zusammenfassend <strong>die</strong> Einführung zur Dokumentation von Czesław Madajczik (Hrsg.),<br />

Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan, München 1994, sowie Mechthild Rössler/<br />

Sabine Schleiermacher (Hrsg.), Der „Generalplan Ost“. Hauptlinien <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Planungs- <strong>und</strong> Vernichtungspolitik, Berlin 1993.<br />

45 Jaroslava Milotová, <strong>Die</strong> NS-Pläne zur Lösung <strong>der</strong> „tschechischen Frage“, in: Detlef Brandes/<br />

Edita Ivaničková/Jirˇí Pesˇek (Hrsg.), Erzwungene Trennung. <strong>Vertreibung</strong>en <strong>und</strong> Aussiedlungen<br />

in <strong>und</strong> aus <strong>der</strong> Tschechoslowakei 1938–1947 <strong>im</strong> Vergleich mit Polen, Ungarn <strong>und</strong> Jugoslawien,<br />

Essen 1999, S. 25–37, hier S. 28.<br />

VfZ 4/2006

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