Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...
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Manfred Kittel/Horst Möller: <strong>Die</strong> Benesˇ-<strong>Dekrete</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> 571<br />
deutschen Volkszugehörigen in Son<strong>der</strong>lagern zu konzentrieren. <strong>Die</strong> Maßnahme,<br />
mit <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Woiwodina noch früher, Ende 1944, begonnen worden war,<br />
erfaßte schließlich etwa 100 000 jener noch <strong>im</strong> Lande verbliebener Deutscher,<br />
denen <strong>die</strong> Flucht nicht gelungen war 144 . Wer <strong>die</strong> Schrecken <strong>der</strong> Internierungslager<br />
überlebte, wurde schließlich meist in ein vertragliches (Zwangs-)arbeitsverhältnis<br />
überführt. <strong>Die</strong> so <strong>im</strong> ganzen Lande verstreuten <strong>Deutschen</strong>, <strong>die</strong> sich<br />
großteils um Ausreise in <strong>die</strong> B<strong>und</strong>esrepublik bemühten, konnten als Volksgruppe<br />
künftig nicht mehr identifiziert werden 145 .<br />
Nicht ganz so drakonisch, aber dennoch recht weitgehend fiel <strong>die</strong> einschlägige<br />
ungarische Verordnung vom November 1945 aus. Nach Deutschland wurden jene<br />
ungarischen Staatsbürger ausgesiedelt, <strong>die</strong> sich bei <strong>der</strong> letzten Volkszählung zur<br />
deutschen Nationalität o<strong>der</strong> Muttersprache bekannt hatten o<strong>der</strong> während des<br />
Krieges ihren magyarisierten Namen wie<strong>der</strong> in einen deutsch klingenden hatten<br />
än<strong>der</strong>n lassen, ferner Mitglie<strong>der</strong> des (schwabendeutschen) Volksb<strong>und</strong>es o<strong>der</strong><br />
bewaffneter deutscher Formationen (SS). Über das Ausmaß <strong>der</strong> Zwangsaussiedlung<br />
hatte <strong>die</strong> ungarische Regierung lange gestritten, wobei <strong>die</strong> Kommunisten <strong>im</strong><br />
Zusammenspiel mit Moskau zur Totalaustreibung drängten, während <strong>die</strong> Kleinlandwirte-Partei<br />
bürgerliche Eigentumsrechte gewahrt wissen wollte, zugleich<br />
aber von ihrem magyarischen Nationalismus zu weiterreichenden Maßnahmen<br />
verführt wurde. Vor allem <strong>die</strong> Sozialdemokraten legten eine skeptische Haltung<br />
gegenüber einer kollektiven Bestrafung <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> an den Tag. Dabei spielte<br />
nicht zuletzt <strong>die</strong> auch <strong>im</strong> Budapester Außenministerium beson<strong>der</strong>s verbreitete<br />
Rücksicht auf das ungeklärte Schicksal <strong>der</strong> Oberungarn in <strong>der</strong> Slowakei eine<br />
Rolle, für <strong>der</strong>en Behandlung <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> Ungarndeutschen Modellfunktion<br />
haben konnte. Dennoch hat <strong>die</strong> Budapester Politik den Gr<strong>und</strong>satz des individuellen<br />
Schuldnachweises stufenweise aufgegeben, <strong>die</strong> Verantwortung dafür<br />
aber wie<strong>der</strong>um auf <strong>die</strong> Alliierten abzuschieben versucht 146 .<br />
<strong>Die</strong> Tschechoslowakei sah auch nach <strong>der</strong> Potsdamer Entscheidung zur <strong>Vertreibung</strong><br />
am 2. August 1945 davon ab, <strong>die</strong>se in <strong>die</strong> eigene Rechtsordnung zu transformieren.<br />
Lediglich ein unveröffentlichter Ministerratsbeschluß vom folgenden<br />
Tag ordnete <strong>die</strong> restlose Abschiebung aller <strong>Deutschen</strong> an. Zudem erklärte ein<br />
noch am 2. August erlassenes Benesˇ-Dekret (Nr. 33) 147 , alle „tschechoslowakischen<br />
Staatsbürger deutscher o<strong>der</strong> magyarischer Nationalität, <strong>die</strong> nach den Vorschriften<br />
einer fremden Besatzungsmacht <strong>die</strong> deutsche o<strong>der</strong> magyarische Staats-<br />
o<strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> deutschen Staatsbürgerschaft während des Krieges) gegen dessen staatliche<br />
Interessen verstoßen hatten, <strong>die</strong> Staatsbürgerschaft aberkannt werden konnte. Vgl. Damijan<br />
Gusˇtin/Vlad<strong>im</strong>ir Prebilič, <strong>Die</strong> Rechtslage <strong>der</strong> deutschen Min<strong>der</strong>heit in Jugoslawien 1944 bis<br />
1946, in: Kittel/Möller/Pesˇek/Tu˚ ma (Hrsg.), Deutschsprachige Min<strong>der</strong>heiten 1945, S. 297–<br />
346, hier S. 307 ff.<br />
144 Vgl. Suppan, Zwischen Adria <strong>und</strong> Karawanken, S. 417 ff.<br />
145 Dokumentation <strong>der</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> aus Ostmitteleuropa, Bd. V, S. 102E–118E.<br />
146 Vgl. Tóth, Migrationen, S. 10, u. S. 57. Vgl. auch Ágnes Tóth, Rechtliche Regelungen zur<br />
Lage des Ungarndeutschtums 1938 bis 1950, in: Kittel/Möller/Pesˇek/Tu˚ ma (Hrsg.), Deutschsprachige<br />
Min<strong>der</strong>heiten 1945, S. 253–295.<br />
147 Vgl. Jech (Hrsg.), <strong>Die</strong> <strong>Deutschen</strong>, S. 526 ff.<br />
VfZ 4/2006