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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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Manfred Kittel/Horst Möller: <strong>Die</strong> Benesˇ-<strong>Dekrete</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> 577<br />

nischen Bereich galten <strong>die</strong> Volksdeutschen in Ungarn, selbst als sich <strong>im</strong> Oktober<br />

1944 ein Aufstand gegen <strong>die</strong> NS-Besatzung vollzog, „nicht <strong>im</strong> vollen Wortsinn als<br />

Fremde“ 168 . <strong>Die</strong>s deutet ebenfalls darauf hin, daß <strong>die</strong> Entscheidungsmotive für<br />

Ausweisung o<strong>der</strong> Duldung bei den (potentiellen) Vertreiberstaaten „eben nicht<br />

nur eine Reaktion auf das Dritte Reich <strong>und</strong> seine Präsenz“ <strong>im</strong> Osten waren, son<strong>der</strong>n<br />

„auch eine Langzeitfolge früherer Weichenstellungen <strong>im</strong> Verhältnis zwischen<br />

Staatsnation <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>heiten“ 169 .<br />

<strong>Die</strong> Reaktion <strong>der</strong> <strong>Vertreibung</strong>sfraktion in <strong>der</strong> ungarischen Gesellschaft war demgegenüber<br />

eher von Emotionen jüngeren Datums geleitet. Das heißt, das Revancheverlangen<br />

gegenüber den Donauschwaben hatte auch „mit einer schwer definierbaren<br />

Neigung“ zu tun, „<strong>die</strong> Wut über <strong>die</strong> eigene Nie<strong>der</strong>lage“ auf einen Bevölkerungsteil<br />

zu projizieren, „<strong>der</strong> eben mit Deutschland, dem Partner in Krieg <strong>und</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lage, identifiziert werden konnte“ 170 . Ein massenpsychologisch ähnliches<br />

Moment, wenngleich unter ganz an<strong>der</strong>en Vorzeichen, hat Emilia Hrabovec für <strong>die</strong><br />

tschechische Gesellschaft aufgezeigt. Der Entschluß zur <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong><br />

sei hier auch aus dem kollektiven schlechten Gewissen eines Volkes entstanden,<br />

„das mit <strong>der</strong> eigenen jüngsten Vergangenheit, dem <strong>im</strong> wesentlichen kampf- <strong>und</strong><br />

wi<strong>der</strong>standslosen Hinnehmen <strong>der</strong> Rückschläge <strong>der</strong> letzten sieben Jahre, nicht fertig<br />

werden konnte“. So sei „manche hypernationalistische Gebärde in Wirklichkeit<br />

nur ein verzweifelter Versuch“ gewesen, „<strong>die</strong> unrühmliche persönliche Vergangenheit,<br />

<strong>die</strong> Feigheit, Untätigkeit o<strong>der</strong> gar [. . .] <strong>die</strong> Kollaboration mit dem Feind zu<br />

kaschieren“ 171 . Wie wenig sich indes auch solche Motive verallgemeinern lassen,<br />

zeigt ein Blick auf Polen <strong>und</strong> Jugoslawien, wo sie keine vergleichbare Rolle gespielt<br />

haben können – man denke nur an den verlustreichen Warschauer Aufstand von<br />

1944 o<strong>der</strong> den blutigen Partisanenkrieg auf dem Balkan.<br />

Welchen Stellenwert besaß aber dann das unterschiedliche Ausmaß an Brutalität<br />

<strong>der</strong> nationalsozialistischen Besatzungspolitik von 1939 bis 1945 für den Entschluß<br />

zur <strong>Vertreibung</strong> o<strong>der</strong> Duldung <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong>? <strong>Die</strong> nationalsozialistische<br />

Besatzung <strong>der</strong> Tschechoslowakei gilt als „weitaus weniger gewalttätig“ 172 als <strong>die</strong><br />

Jugoslawiens o<strong>der</strong> Polens – mit seinen vier bis sechs Millionen Todesopfern 173 –,<br />

wo viele Menschen „um des nackten Überlebens willen zur Flucht in <strong>die</strong> Wäl<strong>der</strong><br />

168 Schödl, Land an <strong>der</strong> Donau, S. 525.<br />

169 Ebenda, S. 526, <strong>im</strong> Blick auf Ungarn, <strong>die</strong> Tschechoslowakei <strong>und</strong> Jugoslawien.<br />

170 Ebenda, S. 526.<br />

171 Emilia Hrabovec, <strong>Die</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> tschechische Gesellschaft, in:<br />

Robert Streibel (Hrsg.), Flucht <strong>und</strong> <strong>Vertreibung</strong>. Zwischen Aufrechnung <strong>und</strong> Verdrängung,<br />

Wien 1994, S. 134–157, hier S.136.<br />

172 Na<strong>im</strong>ark, Das Problem <strong>der</strong> ethnischen Säuberung, S. 330.<br />

173 Darunter ca. drei Millionen Menschen jüdischer Religionszugehörigkeit. <strong>Die</strong> höhere Opferzahl,<br />

noch von Papst Benedikt bei seinem Auschwitz-Besuch <strong>im</strong> Mai 2006 genannt, wird in <strong>der</strong><br />

neueren Forschung zunehmend korrigiert. Vgl. <strong>Die</strong>ter Pohl, War, Occupation and the Holocaust<br />

in Poland, in: Historiography of the Holocaust, hrsg. von Dan Stone, London 2004,<br />

S. 88–119, hier S. 105; Feliks Tych, Polish Society’s Attitudes Towards the Holocaust, in: Facing<br />

the Nazi-Genocide. Non-Jews and Jews in Europe, hrsg. von Beate Kosmala <strong>und</strong> Feliks Tych, Berlin<br />

2004, S. 87–105, hier S. 91.<br />

VfZ 4/2006

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