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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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Manfred Kittel/Horst Möller: <strong>Die</strong> Benesˇ-<strong>Dekrete</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> 545<br />

des 1945 nie<strong>der</strong>gehenden Eisernen Vorhangs, allein den Systemunterschied zwischen<br />

rechtsstaatlichen Demokratien <strong>im</strong> Westen <strong>und</strong> stalinistischem Totalitarismus<br />

in Osteuropa verantwortlich zu machen. Gegen eine solche Vereinfachung<br />

sprechen zum einen <strong>die</strong> gr<strong>und</strong>sätzliche Akzeptanz von Bevölkerungsverschiebungen<br />

<strong>im</strong> Osten seitens <strong>der</strong> Westmächte, zum an<strong>der</strong>en <strong>die</strong> sehr spezifischen politischen<br />

Verhältnisse in den einzelnen Län<strong>der</strong>n Ostmitteleuropas 20 . <strong>Die</strong> Tschechoslowakei<br />

war zwar größtenteils von <strong>der</strong> Roten Armee erobert worden, stand aber<br />

während <strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre nicht unter vergleichbar starkem sowjetischen<br />

Einfluß wie Polen o<strong>der</strong> Ungarn 21 . Und selbst dort arbeiteten <strong>im</strong> Zeichen<br />

antifaschistischer „Blöcke“ o<strong>der</strong> „Fronten“ kommunistische, sozialdemokratische<br />

<strong>und</strong> bürgerliche Kräfte noch zusammen. <strong>Die</strong> Politik <strong>der</strong> <strong>Vertreibung</strong> hat also<br />

auch <strong>der</strong> prinzipiellen Zust<strong>im</strong>mung demokratischer Politiker in Ostmitteleuropa<br />

bedurft, <strong>und</strong> sie hat <strong>die</strong>se gef<strong>und</strong>en 22 . Hinzu kommt, daß Titos Jugoslawien –<br />

ebenfalls einer <strong>der</strong> Vertreiberstaaten – dem sich formierenden Sowjetblock 1948<br />

demonstrativ fernblieb, wenngleich das weitgehend aus eigenen Kräften, nicht<br />

von <strong>der</strong> Roten Armee befreite Land zumindest bis 1947 auch <strong>im</strong> brutalen<br />

Umgang mit <strong>der</strong> deutschen Volksgruppe wie ein „Bestschüler <strong>der</strong> großen Sowjetunion“<br />

23 wirkte. An<strong>der</strong>erseits blieb den Angehörigen <strong>der</strong> deutschen Volksgruppe<br />

in dem klar zum sowjetischen Machtbereich gehörenden Rumänien zumindest<br />

das Schicksal <strong>der</strong> Zwangsaussiedlung erspart, obwohl sie durch Verschleppung<br />

Zehntausen<strong>der</strong> zur Zwangsarbeit nach Sibirien o<strong>der</strong> (noch 1951) Deportation in<br />

den Baragan, durch Enteignung <strong>und</strong> Entrechtung ebenfalls schwer getroffen<br />

<strong>und</strong> dez<strong>im</strong>iert wurde.<br />

Erweist sich also <strong>der</strong> ideologische Gegensatz zwischen Kommunismus <strong>und</strong><br />

Demokratie als nicht hinreichend, um <strong>die</strong> Zwangsumsiedlungen <strong>im</strong> Osten Europas<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Ausbleiben <strong>im</strong> westlichen Teil des Kontinents zu erklären, so deutet<br />

gerade <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mung „bürgerlicher“ Kräfte in Warschau, Prag <strong>und</strong> Budapest<br />

zur <strong>Vertreibung</strong> von <strong>Deutschen</strong>, aber auch an<strong>der</strong>er Nationalitäten, auf längerfristige<br />

Ursachen hin: vor allem auf <strong>die</strong> seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert sich<br />

entwickelnde <strong>und</strong> durchsetzende Idee des ethnisch homogenen Nationalstaats.<br />

Es war gleichsam ein Menetekel, als in <strong>der</strong> Geburtsst<strong>und</strong>e des mo<strong>der</strong>nen Natio-<br />

20 Einen guten Überblick auf <strong>der</strong> Höhe des Forschungstandes über „<strong>Die</strong> Formierung des Ostblocks“<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Lage in den einzelnen Län<strong>der</strong>n bieten Helmut Altrichter/Walther L. Bernecker,<br />

Geschichte Europas <strong>im</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, Stuttgart 2004, S. 258–279.<br />

21 Bekanntlich hatte <strong>die</strong> – 1941 auch von <strong>der</strong> Sowjetunion anerkannte – tschechoslowakische<br />

Exilregierung in London sich mit dem in Moskau lebenden Kommunistenführer Klement Gottwald<br />

auf „eine große revolutionäre Verschiebung nach links“ (ebenda, S. 266) geeinigt <strong>und</strong><br />

auch außenpolitisch – nach den schlechten Erfahrungen mit den Westmächten 1938 – aus<br />

freien Stücken engsten Kontakt zur UdSSR gesucht. Ende 1945 hatten <strong>die</strong> sowjetischen Truppen<br />

<strong>die</strong> Tschechoslowakei, an<strong>der</strong>s als Ungarn o<strong>der</strong> Polen, wie<strong>der</strong> verlassen.<br />

22 Auch Detlef Brandes, Der Weg zur <strong>Vertreibung</strong> 1938–1945. Pläne <strong>und</strong> Entscheidungen zum<br />

,Transfer‘ <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> aus <strong>der</strong> Tschechoslowakei <strong>und</strong> aus Polen, München 2001, S. 1, ist deshalb<br />

von <strong>der</strong> Frage ausgegangen, „warum unzweifelhaft demokratische Politiker wie Benesˇ <strong>und</strong><br />

Sikorski“ <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> für unumgänglich hielten.<br />

23 So Altrichter/Bernecker, Geschichte Europas, S. 274, <strong>im</strong> Hinblick auf <strong>die</strong> Anstrengungen<br />

Jugoslawiens bei <strong>der</strong> Verwirklichung des Sozialismus zwischen 1945 <strong>und</strong> 1947.<br />

VfZ 4/2006

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