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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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Manfred Kittel/Horst Möller: <strong>Die</strong> Benesˇ-<strong>Dekrete</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> 579<br />

Westen eine regelrechte Sklavenhaltermentalität in bezug auf <strong>die</strong> vermeintlichen<br />

slawischen „Untermenschen“ gezählt; <strong>und</strong> <strong>die</strong>s hat, auch wenn es sich regional<br />

unterschiedlich auswirkte, den Willen auf Seiten <strong>der</strong> Vertreiberstaaten, nach dem<br />

Krieg nicht länger mit deutschen Min<strong>der</strong>heiten zusammenleben zu wollen 179 ,<br />

zweifelsohne maßgeblich beeinflußt, zumal <strong>die</strong> Politik des Dritten Reiches sämtliche<br />

Stereotypen über einen vermeintlich ewigen räuberischen deutschen Drang<br />

nach Osten auf extreme Weise bestätigte 180 .<br />

Aufschlußreich ist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang eine weitere Beobachtung Na<strong>im</strong>arks.<br />

Im Gegensatz zu allen an<strong>der</strong>en (von ihm untersuchten) Fällen „ethnischer<br />

Säuberung“ von den Armeniern bis zu den Tschetschenen bleibe „bei <strong>der</strong><br />

<strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> ein Gefühl <strong>der</strong> Ambivalenz darüber zurück, wer<br />

Opfer war <strong>und</strong> wer Täter“; selbst <strong>die</strong> unpolitischsten <strong>Deutschen</strong> <strong>im</strong> Osten hätten<br />

zunächst von <strong>der</strong> Unterwerfung <strong>der</strong> lokalen slawischen Bevölkerung durch <strong>die</strong><br />

Nationalsozialisten profitiert, <strong>und</strong> bei den nicht selbst <strong>der</strong> NSDAP o<strong>der</strong> SS angehörenden<br />

Personen wären „möglicherweise“ zumindest <strong>die</strong> Ehemänner, Brü<strong>der</strong><br />

o<strong>der</strong> Väter Mitglied <strong>die</strong>ser NS-Organisationen gewesen 181 . Ob man <strong>die</strong>se „moralische<br />

Perspektive“ 182 ganz teilt o<strong>der</strong> nicht – zur historischen Erklärung trägt sie<br />

einiges bei: Denn <strong>die</strong> Neigung, den Opfer-Status von Menschen, <strong>die</strong> vorher – ob<br />

gewollt o<strong>der</strong> nicht – von NS-Taten profitiert hatten, in Zweifel zu ziehen, hat für<br />

das Urteil über <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> aus dem Osten tatsächlich eine<br />

wichtige Rolle gespielt. Im krassesten Gegenbeispiel aus <strong>der</strong> westlichen Hemisphäre,<br />

in Südtirol, war dagegen ganz offensichtlich, daß <strong>die</strong> deutsche Volksgruppe<br />

zu keinem Zeitpunkt als Täter fungiert hatte, son<strong>der</strong>n selbst Opfer eines<br />

faschistisch-nationalsozialistischen „Deals“ geworden war, an dem Italien kräftig<br />

mitgewirkt hatte.<br />

<strong>Die</strong> f<strong>und</strong>amental gegensätzlichen Entwicklungen zwischen „ethnischer Säuberung“<br />

<strong>im</strong> Osten <strong>und</strong> politischer Säuberung <strong>im</strong> Westen resultierten zudem daraus,<br />

daß es in den westlichen Demokratien zwar eine Rhetorik <strong>der</strong> deutschen Kollektivschuld<br />

gab, aber keine Kollektivschuldpraxis – we<strong>der</strong> in bezug auf <strong>die</strong> deutsche<br />

Bevölkerung in den westlichen Besatzungszonen noch gegenüber den deutschsprachigen<br />

Min<strong>der</strong>heiten von Nordschleswig bis Südtirol. Während <strong>die</strong> wirklichen<br />

Kollektivschuldkonzepte eines Morgenthau – von einem US-Senator einmal<br />

als Plan „für <strong>die</strong> Vernichtung <strong>der</strong> deutschsprechenden Menschen“ 183 maßlos<br />

überinterpretiert – in den Schubläden westalliierter Planungsstäbe verblieben,<br />

besten hatte. Vgl. Theodor Veiter, Österreich <strong>und</strong> <strong>die</strong> sudetendeutsche Frage 1918 –1938 –<br />

1988, in: Sudetenland 30 (1988), S. 152–168.<br />

179 Vgl. Suppan, Zwischen Rache, S. 75 ff.<br />

180 So schrieb <strong>der</strong> stellvertretende polnische Außenminister <strong>im</strong> Juli 1945 an den US-Botschafter<br />

in Moskau, „das gesamte östliche Kapitel <strong>der</strong> Geschichte Deutschlands [...], jenes Kapitel, das<br />

<strong>die</strong> Geschichte <strong>der</strong> deutschen Raubgier erzählt“, müsse „gestrichen werden“. Brandes, Der<br />

Weg zur <strong>Vertreibung</strong>, S. 405. Vgl. auch Wolfgang Wippermann, Der „deutsche Drang nach<br />

Osten“. Ideologie <strong>und</strong> Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes, Darmstadt 1981.<br />

181 Na<strong>im</strong>ark, Europäische Geschichte, in: Faulenbach/Helle (Hrsg.), Zwangsmigration, S. 28.<br />

182 Ebenda.<br />

183 De Zayas, <strong>Die</strong> Anglo-Amerikaner, S. 150.<br />

VfZ 4/2006

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