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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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Manfred Kittel/Horst Möller: <strong>Die</strong> Benesˇ-<strong>Dekrete</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> 559<br />

zielle Erfahrung mit <strong>der</strong> Instrumentalisierung <strong>der</strong> Nationalitätenkonflikte durch<br />

Hitler in <strong>der</strong> Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs, aber auch mit dem <strong>und</strong>ifferenziert<br />

beurteilten Verhalten von Volkdeutschen während des Krieges. Ein<br />

Memorandum des Foreign Office über <strong>die</strong> deutsche Min<strong>der</strong>heit in Jugoslawien<br />

kam 1943 zu dem Schluß: Angesichts <strong>der</strong> zweifelhaften <strong>Die</strong>nste als Gestapo-Agenten<br />

<strong>und</strong> Nazi-Spione könnten nach dem Abzug <strong>der</strong> Wehrmacht keine Volksdeutschen<br />

mehr in dem Land bleiben 87 .<br />

Unabhängig von <strong>die</strong>sen Diskussionszusammenhängen hatten noch 1939 For<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> polnischen Exilregierung auf Annexion Ostpreußens eingesetzt. <strong>Die</strong><br />

Nationaldemokratie, Massenpartei auf <strong>der</strong> polnischen Rechten, hatte <strong>die</strong> O<strong>der</strong>-<br />

Neiße-Linie „als mögliches Friedensziel“ bereits vor Beginn des von Hitler entfesselten<br />

Krieges „ins Auge gefaßt“ 88 . <strong>Die</strong> Annexionsabsichten mündeten 1943/44 –<br />

nachdem Stalin eisern an seiner Beute aus dem Teufelspakt mit Hitler vom<br />

August 1939 festhielt – in dem ganz an<strong>der</strong>en, von den Polen in London abgelehnten<br />

alliierten Plan einer groß angelegten Westverschiebung Polens bis zur<br />

O<strong>der</strong>/Neiße-Linie 89 . Mag <strong>die</strong> Geschichte von den drei Streichhölzern, mit denen<br />

Churchill auf <strong>der</strong> Teheraner Konferenz <strong>die</strong> Westverschiebung Polens demonstrierte,<br />

noch so eingängig sein: Als reine Kompensation für <strong>die</strong> eigentlichen polnischen<br />

Ostgebiete vor allem um Lemberg 90 , wo etwa zwei Millionen Polen lebten,<br />

hätten Ostpreußen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Oberschlesien vollauf genügt. <strong>Die</strong> übrigen,<br />

mehrheitlich meist von Ukrainern, Weißrussen <strong>und</strong> Litauern bewohnten „Ostgebiete“<br />

hatte sich Polen am Ende des Ersten Weltkriegs gewaltsam einverleibt <strong>und</strong><br />

auch dort zwischen 1919 <strong>und</strong> 1939 eine repressive Min<strong>der</strong>heitenpolitik betrieben,<br />

<strong>die</strong> 1930 in einer „breitangelegte[n] Terrorwelle gegen <strong>die</strong> ukrainische Bevölkerung“<br />

gipfelte 91 .<br />

Es spricht für <strong>die</strong> politische Klugheit <strong>der</strong> polnischen Exilregierung in London,<br />

daß sie sah, welch schwere Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses – zu<br />

(Hrsg.), Zwangsmigration in Europa, Zur wissenschaftlichen <strong>und</strong> politischen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

um <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> aus dem Osten, Essen 2005, S. 19–29, hier S. 21.<br />

87 Vgl. Arnold Suppan, Zwischen Adria <strong>und</strong> Karawanken (Deutsche Geschichte <strong>im</strong> Osten Europas,<br />

Bd. 8), Berlin 1998, S. 415.<br />

88 Włodz<strong>im</strong>ierz Borodziej, <strong>Die</strong> polnische Grenzdiskussion <strong>im</strong> Lande <strong>und</strong> <strong>im</strong> Exil, in: Hans Lemberg,<br />

Grenzen in Ostmitteleuropa <strong>im</strong> 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Aktuelle Forschungsprobleme,<br />

Marburg 2000, S. 137–148, hier S. 142. Wie groß in nationalistischen Kreisen vor allem <strong>der</strong><br />

Appetit auf Ostpreußen war, geht aus einem Diktum des polnischen Generalkonsuls in Königsberg<br />

von 1925 hervor: „Keine Opfer können zu groß sein“, so sagte er, um Ostpreußen „in den<br />

Kreislauf des Polentums“ einzubeziehen. Andreas Kossert, Ostpreußen. Geschichte <strong>und</strong><br />

Mythos, München 2005, S. 224.<br />

89 Zum Zusammenhang polnischer <strong>und</strong> tschechoslowakischer Annexions- <strong>und</strong> <strong>Vertreibung</strong>spläne<br />

vgl. Brandes, Der Weg zur <strong>Vertreibung</strong>, S. 101 ff.<br />

90 Vor allem Lemberg selbst, das „kleine Wien“, war eine zentrale Stätte polnischer Kultur <strong>und</strong><br />

besaß zusammen mit Wilna nach Einschätzung Philipp Thers „für Polen eine noch größere<br />

Bedeutung als Breslau <strong>und</strong> Königsberg für Deutschland“. Philipp Ther, Deutsche <strong>und</strong> polnische<br />

Vertriebene. Gesellschaft <strong>und</strong> Vertriebenenpolitik in <strong>der</strong> SBZ/DDR <strong>und</strong> in Polen 1945–<br />

1956, Göttingen 1998, S. 105.<br />

91 Scheuermann, Min<strong>der</strong>heitenschutz, S. 408.<br />

VfZ 4/2006

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