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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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562 Aufsätze<br />

Anspielung auf <strong>die</strong> Hussitenzeit war insofern bemerkenswert, als in den Jahren<br />

nach 1419 bereits einmal deutschsprachige Böhmen vor allem aus Prag <strong>und</strong> einigen<br />

Sprachinseln vertrieben worden waren 105 .<br />

Entscheidend zur Radikalisierung älterer nationalistischer Affekte hatten aber<br />

in <strong>der</strong> Tschechoslowakei wie in den an<strong>der</strong>en Vertreiberstaaten <strong>die</strong> jüngsten Erfahrungen<br />

mit Deutschland <strong>und</strong> den <strong>Deutschen</strong> beigetragen. Im tschechischen Fall<br />

wurde <strong>die</strong> nationalsozialistische Repressionspolitik in <strong>der</strong> Zeit des Münchner<br />

Abkommens <strong>und</strong> während <strong>der</strong> folgenden Diktatur des Dritten Reiches als verschärfte<br />

Fortsetzung des alten Nationalitätenkampfes wahrgenommen, zumal<br />

auch Sudetendeutsche, an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Henlein-Bewegung kommende<br />

Karl Hermann Frank, <strong>im</strong> Besatzungsapparat des Protektorats wichtige Positionen<br />

innehatten. Da das deutsche Volk „in <strong>die</strong>sem Krieg aufgehört [habe] menschlich<br />

zu sein, menschlich erträglich zu sein“ 106 , <strong>und</strong> „in seiner Gesamtheit“ <strong>die</strong> Verantwortung<br />

für den Nationalsozialismus <strong>und</strong> dessen Verbrechen trage, war Benesˇ<br />

<strong>und</strong> mit ihm <strong>die</strong> große Mehrheit <strong>der</strong> tschechischen Gesellschaft überzeugt, das<br />

„deutsche Problem“ definitiv liqui<strong>die</strong>ren (vylikvidovat) zu müssen 107 . Ähnlich wie<br />

tschechische Politiker 108 äußerten sich 1945 auch jugoslawische o<strong>der</strong> polnische.<br />

Als Beispiel genannt sei <strong>der</strong> Befehl, den <strong>die</strong> Führung <strong>der</strong> zweiten polnischen<br />

Armee ihren Einheiten gab, „mit den <strong>Deutschen</strong> so zu verfahren wie sie mit uns<br />

verfuhren“ 109 . Ebenso klang es aus einer Ansprache des Vorsitzenden <strong>der</strong> slowenischen<br />

Volksregierung auf dem Marburger Hauptplatz am 5. Mai 1945: “Aus<br />

den nördlichen Gebieten müssen <strong>die</strong> Reste des Deutschtums verschwinden. [...]<br />

<strong>Die</strong>se Leute, <strong>die</strong> den Schweiß des Volkes ausgesaugt haben, <strong>die</strong>se Leute, <strong>die</strong> mithalfen,<br />

unser Volk zu versklaven, <strong>die</strong>se Leute dürfen nicht mehr hier bleiben.“ 110<br />

Benesˇ hat rückblickend betont, daß er das Ziel einer radikalen Reduzierung <strong>der</strong><br />

Min<strong>der</strong>heiten seit 1938 – zunächst vorsichtig, „mit <strong>der</strong> Entwicklung des Krieges<br />

dann entschlossener <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlicher“ 111 – verfolgt habe. Bereits in einem 10-<br />

Punkte-Plan Benesˇs vom November 1943 war deutlich geworden, daß <strong>die</strong> tschechische<br />

Politik nicht mehr daran glaubte, <strong>die</strong> als nötig erachtete Reduzierung <strong>der</strong><br />

deutschen Min<strong>der</strong>heit durch den „Transfer“ ausschließlich jener zu erreichen,<br />

denen <strong>die</strong>se Maßnahme als strafrechtliche Sanktion für ihre Taten, für ihre individuelle<br />

Schuld, auferlegt werden konnte. In dem <strong>Vertreibung</strong>splan ging Benesˇ des-<br />

wesentliche Rolle gespielt haben mag, wäre es wohl zu einfach, seine chauvinistischen Äußerungen<br />

seit 1919 ausschließlich als Rhetorik abzutun.<br />

105 Vgl. Friedrich Prinz (Hrsg.), Böhmen <strong>und</strong> Mähren (Deutsche Geschichte <strong>im</strong> Osten Europas,<br />

Bd. 2), Berlin 1993, S. 162 f. Obwohl es auch deutschsprachige Angehörige des Hussitentums<br />

gab, hatte es doch „prinzipiell tschechischen Charakter“. Ebenda, S. 162.<br />

106 Benesˇ, Rede in Brünn, 12. 5. 1945, zit. nach Brandes, Der Weg zur <strong>Vertreibung</strong>, S. 377.<br />

107 Ebenda, S. 378.<br />

108 Sogar einige Geistliche wie Monsignore Stasˇek äußerten sich extrem nationalistisch: „Alle<br />

<strong>Deutschen</strong> sind schlecht <strong>und</strong> das Gebot <strong>der</strong> Nächstenliebe gilt für sie nicht.“ Zit. nach Emilia Hrabovec,<br />

<strong>Vertreibung</strong> <strong>und</strong> Abschub. Deutsche in Mähren 1945–1947, Frankfurt a. M. 1995, S. 96.<br />

109 Ther, Deutsche <strong>und</strong> polnische Vertriebene, S. 55.<br />

110 Zit. nach Suppan, Zwischen Adria <strong>und</strong> Karawanken, S. 417.<br />

111 Edvard Benesˇ, Paměti. Od Mnichova k nové válce a k novému vítezství, Prag 1947, S. 312 ff.<br />

VfZ 4/2006

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