Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...
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566 Aufsätze<br />
<strong>die</strong> Regierung in Brüssel nunmehr <strong>die</strong> Rückkehr <strong>und</strong> beschlagnahmte auch ihr<br />
Vermögen 122 .<br />
Aus Dänemark wurde kein einziger Angehöriger <strong>der</strong> deutschen Volksgruppe<br />
vertrieben, obwohl etliche <strong>der</strong> schon vor 1939 irredentistisch gesinnten Nordschleswiger<br />
zwischen 1940 <strong>und</strong> 1945 als Frontfreiwillige o<strong>der</strong> in den Wachkorps<br />
<strong>der</strong> Besatzungsmacht den sog. „<strong>Die</strong>nst am deutschen Volk“ geleistet hatten 123 .<br />
Gegen ein Viertel <strong>der</strong> männlichen Bevölkerung wurden Haftstrafen verhängt,<br />
jedoch von relativ kurzer Dauer. Selbst <strong>im</strong> Prozeß gegen <strong>die</strong> <strong>im</strong> „Kleinen Politischen<br />
Rat“ <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Nordschleswigschen Zeitung aktiv gewesene Führung <strong>der</strong><br />
Volksgruppe entsprachen <strong>die</strong> Gerichte nicht den Plädoyers des Staatsanwalts auf<br />
Hochverrat. Sie reduzierten <strong>im</strong> Berufungsverfahren <strong>die</strong> verhängten Haftstrafen<br />
erheblich <strong>und</strong> ermöglichten so den bald wie<strong>der</strong> Freigelassenen den Wie<strong>der</strong>erwerb<br />
<strong>der</strong> bürgerlichen Rechte. Ein radikaler Vorschlag aus Kreisen <strong>der</strong> dänischen<br />
Wi<strong>der</strong>standsbewegung, <strong>die</strong> deutsch Gesinnten als Antwort auf das Verhalten<br />
<strong>der</strong> Volksgruppe auszuweisen, setzte sich politisch nicht durch, weil in Kopenhagen<br />
<strong>die</strong> Rechtsauffassung vorherrschte, dänische Staatsbürger könnten nicht<br />
des Landes verwiesen werden 124 .<br />
Den deutlichsten Gegensatz zur östlichen <strong>Vertreibung</strong>spraxis markierte <strong>der</strong><br />
Fall Südtirol. Nach einer Vereinbarung <strong>der</strong> „Stahlpakt“-Partner Hitler <strong>und</strong> Mussolini<br />
hatten <strong>die</strong> Südtiroler 1939 zwischen dem Verbleib in ihrer He<strong>im</strong>at – bei folgen<strong>der</strong><br />
Italianisierung – <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aussiedlung in das Deutsche Reich optieren<br />
müssen. In den folgenden Jahren bis zum Sturz Mussolinis 1943 waren 75 000<br />
deutsche Südtiroler abgewan<strong>der</strong>t. Nach dem Krieg verpflichtete sich Italien aber<br />
<strong>im</strong> Gruber-De Gasperi-Abkommen von 1946, <strong>die</strong> Optionen von 1939 „<strong>im</strong> Geiste<br />
<strong>der</strong> Billigkeit <strong>und</strong> Weitherzigkeit zu revi<strong>die</strong>ren“ 125 , was in einem Dekret vom 2.<br />
Februar 1948 über <strong>die</strong> Rückoption für <strong>die</strong> italienische Staatsbürgerschaft zumindest<br />
so weit geschah, daß von knapp 30 000 Anträgen abgewan<strong>der</strong>ter Optanten –<br />
an<strong>der</strong>e waren in den Kriegswirren ums Leben gekommen o<strong>der</strong> ließen sich in<br />
Westdeutschland <strong>und</strong> Österreich nie<strong>der</strong> – über 22000 angenommen wurden. Aus<br />
ihrer He<strong>im</strong>at verbannt blieben demnach nur einige tausend Südtiroler, <strong>die</strong> – wie<br />
es <strong>im</strong> Dekret als Ausschlußgr<strong>und</strong> hieß – mit dem Nationalsozialismus kollaboriert<br />
o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Propagierung <strong>der</strong> Option 1939 antiitalienischen Fanatismus an den<br />
Tag gelegt hatten. Dennoch – <strong>und</strong> auch wenn man den mühsamen Weg zu einer<br />
befriedigenden Regelung <strong>der</strong> Südtirol-Frage bis in <strong>die</strong> 1970er Jahre hinein eben-<br />
122 Vgl. Ulrich Tiedau, <strong>Die</strong> Rechtslage <strong>der</strong> deutschsprachigen Bevölkerung in Belgien nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg, in: Kittel/Möller/Pesˇek/Tu˚ ma (Hrsg.), Deutschsprachige Min<strong>der</strong>heiten<br />
1945, S. 435–522, hier S. 473 ff.<br />
123 Jürgen Festersen, Dänemark <strong>und</strong> <strong>die</strong> deutsche Volksgruppe in Nordschleswig 1940 bis 1955,<br />
in: Kittel/Möller/Pesˇek/Tu˚ ma (Hrsg.), Deutschsprachige Min<strong>der</strong>heiten 1945, S. 571–612, hier<br />
S. 572.<br />
124 Karl Christian Lammers, Konflikte <strong>und</strong> Konfliktlösungen in <strong>der</strong> dänisch-deutschen Nationalitätenfrage<br />
seit 1840: Der Fall Schleswig, in: Ther/S<strong>und</strong>haussen(Hrsg.), Nationalitätenkonflikte,<br />
S. 203–217, hier S. 213.<br />
125 Rudolf Lill, Italien <strong>und</strong> seine deutsche Min<strong>der</strong>heit, in: Kittel/Möller/Pesˇek/Tu˚ma (Hrsg.),<br />
Deutschsprachige Min<strong>der</strong>heiten 1945, S. 373–434, hier S. 406.<br />
VfZ 4/2006