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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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Manfred Kittel/Horst Möller: <strong>Die</strong> Benesˇ-<strong>Dekrete</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong> 563<br />

halb schon über den Kreis <strong>der</strong> unbestrittenen Exponenten <strong>und</strong> Nutznießer des<br />

NS-Reg<strong>im</strong>es einschließlich <strong>der</strong> SdP-Funktionäre hinaus <strong>und</strong> erfaßte auch <strong>die</strong> Angehörigen<br />

<strong>der</strong> gesellschaftlichen Eliten (Juristen, Ingenieure, Lehrer) sowie jene, <strong>die</strong><br />

in uniformierten Einheiten an <strong>der</strong> Front o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Hinterland ge<strong>die</strong>nt hatten.<br />

Wenige Wochen nach Vorlage des 10-Punkte-Plans erklärte Benesˇ in Moskau ausdrücklich,<br />

daß sich <strong>der</strong> „Transfer“ auch auf einen Teil <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung<br />

beziehen werde, <strong>der</strong> nicht aktiv an <strong>der</strong> staatsfeindlichen Tätigkeit gegen <strong>die</strong> Tschechoslowakei<br />

beteiligt gewesen sei 112 .<br />

Vor dem Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Entschlossenheit führen<strong>der</strong> ostmitteleuropäischer<br />

Politiker, das „deutsche Problem“ ein für alle Mal aus <strong>der</strong> Welt zu schaffen, waren<br />

<strong>die</strong> sogenannten „wilden <strong>Vertreibung</strong>en“ zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Potsdamer<br />

Abkommen durch Armee-Einheiten, „Nationalausschüsse“, „revolutionäre“ Milizen<br />

o<strong>der</strong> Polizei weniger spontaner Ausdruck des Volkszorns, als vielmehr staatlich<br />

gelenkte Aktionen, um vor <strong>der</strong> Potsdamer Konferenz <strong>und</strong> einem – zu Recht<br />

befürchteten – Nachlassen <strong>der</strong> (west-)alliierten Bereitschaft zur <strong>Vertreibung</strong><br />

unumkehrbare Fakten zu schaffen. Einer Direktive des tschechoslowakischen<br />

Innenministers gemäß mußten gr<strong>und</strong>sätzlich alle Personen ausgesiedelt werden,<br />

<strong>die</strong> sich bei <strong>der</strong> Volkszählung von 1930 (!) zur deutschen Nationalität bekannt<br />

hatten. Voraussetzung für <strong>die</strong> Durchführung waren in <strong>der</strong> Regel wohl mündliche<br />

Übereinkünfte zwischen lokalen tschechoslowakischen Behörden <strong>und</strong> untergeordneten<br />

russischen Militärbefehlshabern jenseits <strong>der</strong> tschechisch-sächsischen<br />

Grenze in <strong>der</strong> SBZ, während <strong>im</strong> amerikanisch befreiten Teil <strong>der</strong> CSR <strong>der</strong>artige<br />

Aktionen unterblieben 113 . Begleitet von Aufrufen <strong>im</strong> R<strong>und</strong>funk o<strong>der</strong> in Flugblättern,<br />

<strong>die</strong> den Haß auf <strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong> noch schürten, wurden bereits vor Potsdam<br />

450 000 Deutsche aus <strong>der</strong> Tschechoslowakei vertrieben, aus dem polnischen<br />

Machtbereich 400 000 114 . In den jugoslawischen Gebieten waren schon 1944 <strong>die</strong><br />

Umsiedlungsaktionen <strong>der</strong> NS-Machthaber (aus Westslawonien) angesichts <strong>der</strong><br />

militärischen Lage „in Evakuierungsmaßnahmen <strong>und</strong> Fluchtbewegungen“ übergegangen,<br />

„ohne daß <strong>die</strong> einen ohne weiteres von den an<strong>der</strong>en unterschieden<br />

werden könnten“; eine „unverhüllte Austreibung“ zehntausen<strong>der</strong> Jugoslawiendeutscher<br />

erfolgte vor allem in Slowenien <strong>und</strong> Teilen Slawoniens 115 .<br />

<strong>Die</strong> „wilden“ <strong>Vertreibung</strong>en vor <strong>der</strong> Potsdamer Konferenz sind vermutlich<br />

<strong>der</strong> wichtigste Beleg dafür, daß <strong>die</strong> politische Verantwortung für <strong>die</strong> Zwangsaussiedlung<br />

zu einem erheblichen Teil bei den führenden Exil- <strong>und</strong> Nachkriegspolitikern<br />

<strong>der</strong> ostmitteleuropäischen Staaten lag. Nicht zuletzt traf <strong>die</strong>s für Jugoslawien<br />

zu, das <strong>im</strong> Potsdamer Abkommen überhaupt nicht erwähnt worden war<br />

112 Jaroslav Kučera, „Der Hai wird nie wie<strong>der</strong> so stark sein“. Tschechoslowakische Deutschlandpolitik<br />

1945–1948, Dresden 2001, S. 38.<br />

113 Vgl. Brandes, Der Weg zur <strong>Vertreibung</strong>, S. 381 ff.; Kučera, Der Hai, S. 43.<br />

114 Vgl. Brandes, Der Weg zur <strong>Vertreibung</strong>, S. 397; Ther, Deutsche <strong>und</strong> polnische Vertriebene,<br />

S. 56 f.<br />

115 Dokumentation <strong>der</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> aus Ost-Mitteleuropa, Bd. V: Das Schicksal<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> in Jugoslawien, München 1984 (unv. Nachdruck <strong>der</strong> Ausgabe von 1960), S. 85E<br />

u. S. 99E. Vgl. auch Suppan, Zwischen Adria <strong>und</strong> Karawanken, S. 415 ff.<br />

VfZ 4/2006

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