"Krebsstation" aus psychologischer Sicht
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ES GILT DAS GESPROCHENE WORT<br />
er ja auch nicht, er fordert die Diagnose: Lymphogranulomatose. 11 „Das heißt also:<br />
nicht Krebs!“ Nun wenn man so sehr Angst hat, dann ist das eben kein Krebs.<br />
Rusanow schaut nach Fehlern und Stil wie er behandelt wird im Unterschied zu den<br />
anderen.<br />
Ganz anders Oleg Kostoglotow. Er ringt mit Dr. Donzowa, er will wissen, wie viele<br />
Behandlungen er noch braucht, wann er entlassen werden kann. „Ihr Blick verlor jede<br />
Sympathie für ihren Klassenersten. Er war ein schwieriger Patient mit verstocktem,<br />
eigensinnigem Gesichts<strong>aus</strong>druck. ‚Aber ich beginne doch erst, Sie zu behandeln!’<br />
wies sie ihn zurecht. K. weiß, dass er nicht <strong>aus</strong>geheilt ist, verzichtet auf eine<br />
vollständige Heilung. D. „Was reden Sie da überhaupt. Sind Sie noch normal oder<br />
nicht?“(52) K. ist dankbar über den erträglichen Zustand, möchte eine Zeitlang darin<br />
verharren, in Frieden leben. Er weiß halt nicht, was er von der weiteren Behandlung<br />
zu erwarten hat. Dr. Donzowa: „Sie sind mit den Abwehrkräften Ihres Organismus<br />
auf alles vieren in unsere Klinik gekrochen gekommen! … Sie begreifen wohl gar<br />
nicht, womit Sie spielen? Ich werde mich nicht weiter mit Ihnen <strong>aus</strong>einandersetzen.“<br />
(53)“ Es deprimiert die Ärztin, dass ihr erfolgversprechendster Patient argwöhnisch<br />
ist, glaubt, dass sie ihn für Versuche mißbraucht. (56) Sie empfindet ihn als<br />
pedantischen, wissbegierigen Dickkopf; meist gibt es so einen auf 50 Patienten. Man<br />
muß ihnen ab und zu etwas erklären. Für ihn ist es Kampf: „Ich will Sie nur an mein<br />
Recht erinnern, über mein Leben so zu verfügen, wie ich will. Jeder Mensch hat doch<br />
das Recht, nach eigenem Ermessen über sein Leben zu bestimmen! Gestehen Sie<br />
mir dieses Recht zu?“ (72) … „Ich will aber nicht um jeden Preis gerettet werden. Es<br />
gibt nichts auf der Welt, wofür ich um jeden Preis zahlen würde!“ (74) Er hängt nicht<br />
so sehr am Leben, da er nie ein richtiges Leben gehabt hat und „auch in Zukunft<br />
keines haben (wird).“ (76) Neue Bestrahlungen – neues Leiden will er dafür nicht.<br />
Donzowa wird energisch, macht ihn zur Schnecke, droht ihn zu entlassen, gar nichts<br />
mehr für ihn zu tun. Sie wird ihn eigenhändig ihn die großen Listen in der Spalte<br />
Entlassung als „noch nicht gestorben“ eintragen. Als er klein bei gibt, fordert sie und<br />
„(d)ie Behandlung nicht nur geduldig, sondern freudig ertragen!“ Dann ist sie wieder<br />
zutiefst mitfühlend und menschlich: „Sagen Sie mir, was Sie fühlen. Was hat sich<br />
während der Behandlung hier verändert?“<br />
Frau Dr. Donzowa teilt nicht nur ihr Wissen mit den jungen Kolleginnen, gibt es<br />
weiter, sondern sie teilt ihr Leben mit den Patienten, sie grenzt sich nicht ab wie es<br />
heute so schön heißt … – eine Art und Weise wie meine Generation sich selbst<br />
erzogen hat, unsere Mütter damit zur Weisglut trieb, die häufig selbstaufopfernd<br />
waren, aber auch fordernd, vorhaltend, sehr wohl Erwartungen hatten. Auch Dr.<br />
11 Lymphogranulomatose ist eine Form des Lymphknotenkrebses und somit eine lebensbedrohliche<br />
Erkrankung. Die Primärlokalisation der Lymphogranulomatose kann im Hals, im Bereich des<br />
Brustmittelfelles (Mediastinum) oder im Bauchraum liegen.<br />
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